23.6.11

Did u hear me?

Für das Jahr 2011 habe ich vorausgesagt, dass mindestens StudiVZ so am Ende sein wird, dass es entweder verschwinden oder den Weg Mypaces gehen wird, also sein Modell verändern, kein Netzwerk mehr sein will. Das haben sie ja dann auch schneller als gedacht untermauert, als sie zum 1.4. eine Vermarktungsgemeinschaft geschaffen haben. Auf den einen oder die andere wirkte das, als ob zwei Halbtote sich zusammen tun, damit es so aussieht, als ob sie lebendig wären. Aber gut, jeder, wie er mag.

Diese Woche sind nun zwei Dinge passiert, die mich meine These verändern lassen:
Ich bin überzeugt, dass nicht nur StudiVZ dieses Jahr verschwinden wird - sondern auch SchülerVZ.
Um die wirklichen Größenverhältnisse der Social Networks in Deutschland festzustellen, nutze ich den doubleclick ad planner.
Grund: In Statistiken, die auf der IVW beruhen, sind nicht nur die VZs (also Studi-, Schüler- und Mein-VZ) nicht vernünftig ausgewiesen (sondern nur völlig unbrauchbar für Kommunikationsagenturen gemeinsam als "VZ Netzwerke") - sondern Facebook gar nicht. Der ad planner hat seine eigenen Probleme, aber für die Entwicklung von Monat zu Monat und für den Vergleich der Seiten untereinander ist er brauchbar, denn die Fehler und Schwächen gelten ja für alle Seiten, die er ausweist.
Und der zeigt für den Mai dramatische Entwicklungen:
  • StudiVZ ist inzwischen sogar hinter Xing (!!) zurück gefallen und erreichte nur noch 2,4 Mio Visits.
  • SchülerVZ verliert erstmals seit langem im Mai dramatisch an Visits.
  • Allein von März bis Mai verliert SchülerVZ über 30% und StudiVZ noch einmal rund 25% bei den monatlichen Visits.
  • meinVZ ist inzwischen nach Visits das "größte" der VZ-Netzwerke.
  • Facebook ist inzwischen nach Visits zweimal größer als alle anderen Netzwerke in Deutschland zusammen.
  • Auch wenn die Vermarktung der VZs und die IVW und einige Mediaagenturen, die noch mit der VA 2010 (!) operieren, beispielsweise behaupten, SchülerVZ sei eine relevante Onlineplattform für Jugendliche, bin ich da inzwischen nicht mehr nur skeptisch. Und finde es zunehmend absurd, eine Kampagne für das zweite Halbjahr 2011 (um mal ein Beispiel zu nehmen) auf solchen Zahlen zu entscheiden, wenn aktuelle Zahlen nahelegen, dass die VZs weiterhin und radikal abzuschmieren scheinen.

    Aber heute früh ist dann etwas passiert, das noch viel deutlicher als alles andere bisher zeigt, dass auch SchülerVZ am Ende ist. Siehe den Screenshot einer Mail von SchülerVZ hier, die offenbar an alle Mitglieder geht, ebenso wie gestern nahezu gleichlautend (!) an StudiVZ und meinVZ - nur mit etwas anderen Bildern. André Vatter nannte das schon gestern Abend den Start des Ausverkaufs. Und er hat Recht. Und als Vater, dessen ältere Kinder eine kurze Zeitlang dort aktiv waren und noch immer einen toten Account dort haben, setze ich noch eines drauf: Wer so Kinder anspricht, bekommt von mir Hausverbot.

    Bisher konnte ich diejenigen Eltern verstehen, die sagten, dass sie SchülerVZ als im Vergleich zu Facebook geschütztere Umgebung bevorzugen für ihre Kinder. Communitymanagement und so, u know. Jugendschutz. Ethikstandards. Und nun?

    Wie groß muss die Verzweiflung der VZs sein, wenn sie alles über Bord werfen, was sie hätte retten können oder was ihnen hätte helfen können, sich in die Nische "Kinder unter 14" zurück zu ziehen - also in die Nische, in der sie eine theoretische Überlebenschance gehabt hätten (denn ab 14 ist SchülerVZ aufgrund seiner faktisch maximal nationalen Ausrichtung ohnehin irrelevant für alle Kinder, die auf eine weiterführende Schule mit Fremdsprachenangebot gehen, Austausche, Reisen und so).

    Dann geht halt sterben. OK. Aber hört wenigstens auf, unsere Kunden zu verwirren.

    21.6.11

    Das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen

    Aus dem gleichen Film (den ich sehr liebe und der eigentlich nur einen der größtartigsten Romane aller Zeiten nacherzählt, der dann sogar auch vorkommt im Film) stammt auch der Satz (der ein geflügeltes Wort bei uns zu Hause geworden ist), dass Menschen im Urlaub die merkwürdigsten Dinge tun - "Sie kaufen Lederjacken zu weit überhöhten preisen, aber die verlieben sich nicht in faschistische Diktatoren". Aber darum geht es ja gar nicht. Sondern um das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen. Oder das Ende des Internetz, wie Groß-Mäxchen es sich vorgestellt hat: Das Ende der Anonymität.

    Im sehr guten Stück Upending Anonymity, These Days the Web Unmasks Everyone schreibt Brian Stelter gestern:
    Not too long ago, theorists fretted that the Internet was a place where anonymity thrived. Now, it seems, it is the place where anonymity dies. ... This erosion of anonymity is a product of pervasive social media services, cheap cellphone cameras, free photo and video Web hosts, and perhaps most important of all, a change in people’s views about what ought to be public and what ought to be private. Experts say that Web sites like Facebook, which require real identities and encourage the sharing of photographs and videos, have hastened this change.
    Denn es ist ja wirklich faszinierend, wie oft uns im Alltag (und beileibe nicht nur von denen, die ich Offliner nennen würde, also Leuten, die weniger als vier Stunden täglich das Internetz nutzen) immer noch die Vorstellung begegnet, im Internet würden anonyme Trolle anonym Blödsinn erzählen. Ja, gibt es, aber das ist eine winzig kleine Gruppe inzwischen, verglichen mit dem richtigen Leben. Witzigerweise ist es gerade Facebook mit all seinen grotesken Pirouetten und Problemen rund um Privatsphäre und Tracking, das hier auch kulturell einen weiteren Bruch bedeutet. Oder warum, glaubt ihr, nutzen immer mehr Medien und Marken Facebook oder auch externe Facebook-Kommentare? Unter anderem, weil es ein sehr guter Trollfilter ist. Übrig bleiben die pathologischen Trolle. Die Gelegenheitstrolle aber wollen ja nicht ihr Getrolle mit ihrem Namen verbunden haben.

    Ich bin beileibe keiner von diesen Post-Privacy-Dingens, die ich eher für Clowns halte übrigens als für Spacken, aber das nur mal am Rande. Aber dass Leute, die sich in der Öffentlichkeit wie ein Arschloch aufführen, schnell geoutet werden. Oder dass ich bei Leuten, die einen bedenkenswerten Kommentar abgeben, schnell mehr finde. Oder dass ich Menschen schnell wieder finde. All das finde ich toll und faszinierend.

    Und auch der "erzieherische" Aspekt ist gut: Es gibt - da stimme ich der Spackeria sogar beinahe zu - kein Recht auf Privatheit, sondern nur die Möglichkeit, mir sie zu nehmen. Meine Kinder beispielsweise wachsen ganz selbstverständlich damit auf, dass die Standardeinstellung öffentlich ist. Und sie ändern die (meistens). In anderen Generation ändern das viele nicht - weil sie am alten Recht hängen, es voraussetzen. Ich finde es besser, dass ich es selbst bestimme. Und ich persönlich beispielsweise nutze es ja zur Markenbildung und Markenführung der Marke luebue, sehr bewusst die Einstellungen vorzunehmen.

    Es lohnt sich, einmal Dialogen von Jugendlichen auf Ausflügen oder Klassenfahren zuzuhören. 60% oder so drehen sich um Privasphäre: "Dieses Bild stellst du nicht auf Facebook" und so weiter. Und die reißerische Schwachsinnsüberschrift der Bitkom im Januar zur Datenschutzstudie bei Jugendlichen ("jeder vierte schützt sich nicht") verzerrt ja ohnehin das Bild. Denn die Studie hat das Gegenteil dessen rausgefunden, was die Überschrift suggerieren will: Rund 75% schützen ihre Daten und stellen ihre Dingens ein.

    Ist das nicht irre ermutigend?

    9.6.11

    Ich bin so wütend

    Schon im Februar schrieb ich über unsere Erfahrung mit dem Gymnasium und dem, was wir in Hamburg "Stadtteilschule" nennen. Und seitdem ist nichts (in Worten: Nichts) besser geworden. Das Gymnasium, auf das mein Großer geht, trudelt mit einer hilflosen Führung und didaktisch heillos überforderten Lehrerinnen vor sich hin. Und ich habe Tränen der Wut und Empörung geheult, als ich (und dieses ist ein strikter Lesebefehl, der erste seit Jahren, den ich euch erteile, und ich meine es so, wie ich es sage) den Brief von Henning Sußebach an seine Tochter in der Zeit gelesen habe. Die so ziemlich einzigen schönen Passagen sind seine Erinnerungen an seine Kindheit und frühe Jugend. Ich sah mich. So wie ich meinen Großen in den anderen Teilen sah und mich um meinen Dritten sorge:
    Als Kind habe ich mir Baugenehmigungen für Luftschlösser erteilt. Wenn ich an früher denke, schlendere ich als Fußballgott und Tenniskönig durch gleißend helle Nachmittage. Ich habe immer Zeit. Und es ist immer Sommer. Ein größeres Kompliment kann die Erinnerung der Kindheit nicht machen.

    Wenn es regnete? Habe ich den Tropfenrennen am Fenster zugesehen oder die Holzvertäfelung neben meinem Bett angestarrt. So lange, bis sich aus der Maserung Berge erhoben und sich die Astlöcher in Vulkankrater verwandelten. Kennst Du das auch? Sußebach in der Zeit
    Ich bin leicht bei der Hand, zu sagen, wer sein Kind aufs Gymnasium schickt, habe selbst Schuld. Ich sage das auch oft, wenn sich Eltern beschweren: Ihr wusstet es, ihr wolltet es, ihr seid halt doof gewesen. Und Hallo - ich bin im Vorstand des Elternrates (Elternmitbestimmung) eines Gymnasiums. Aber mit dieser Antwort ist jetzt Schluss. Ich werde Sußebachs Artikel verteilen. Ich werde die Konsequenzen ziehen. Ich bin so wütend. Auf mich, auf die Schulverwaltung, auf die Schule. In Sußebachs Brief ist nicht ein Wort, das nicht stimmte und dem ich nicht zustimmte Update: Hier irrte ich, siehe unten. Nur mit einem Unterschied:

    In Hamburg, und darum bin ich wiederum saufroh, habe ich eine echte Alternative. Jede Schule führt zum Abitur (das ein Zentralabitur ist, also nix (mehr) mit Billigabitur). Immer mehr Eltern von Kindern mit "Gymnasialempfehlung" (die die SPD aus Angst gegen ihre eigene Beschlusslage nicht abgeschafft hat) denken nach, bevor sie ihre Kinder auf ein Waldundwiesengymnasium schicken. Und wählen eine Stadtteilschule, die früher Gesamtschule hieß und bis heute das Abitur nach 13 Schuljahren anbietet (und wo viele, nicht alle, Lehrerinnen schon seit Jahren sich an modernen Unterricht gewöhnen durften).

    Ich habe ein Problem: Tertius ist gut in der Schule. Sehr gut sogar. Und will lernen. Und ich weiß nicht, ob ich mich traue, ihn nicht aufs Gymnasium zu geben. Auch das macht mich so wütend, dass ich heulen könnte. Und die Uhr tickt. In einem halben Jahr müssen wir uns entscheiden. Ich sollte noch mal Sußebachs Artikel lesen. Sagte ich schon, dass der verstörend großartig und wahr und eine Pflichtlektüre ist? Für euch alle?

    Update 10.6.
    An einer Stelle bin ich gestern zu kurz gesprungen. Denn ja, es ist ein großartig verstörender Brief, den Sußebach schrieb. Aber was er nicht reflektiert, ist seine Rolle an dem Problem. Denn wenn seine Tochter kein Leben mehr hat, wenn sie sonntags lernen muss, dann ist es ein Fehler gewesen, sie aufs Gymnasium zu geben. Punkt. Er wusste, worauf er sich einließ. Und nun hat er ein schlechtes Gewissen - schiebt es auf das "System" und die anderen, blendet aber seinen falschen Ehrgeiz, seine falsche Arroganz ("Mein Kind muss aufs Gymnasium") aus. Denn die Konsequenz muss doch sein: Wer in der Grundschule nicht überwiegend Einsen hat oder eine Drei in einem Lernfach, gehört nicht aufs G8.

    Das ändert nichts daran, dass ich G8 und alles, was Sußebach beschreibt, für falsch und einen Skandal halte - aber wir Eltern müssen unsere eigene Rolle und unseren eigenen Ehrgeiz reflektieren und mit den Füßen abstimmen über das "System". Auch bei Sußebach in der Stadt gibt es eine Gesamtschule mit G9. Aber da wollte er sein Kind nicht hingeben. Warum? Weil er studiert hat und meint, sein Kind müsse, obwohl es so viel lernen muss, aufs Gymnasium, um sein Abitur zu machen? Unsere Freunde in diesem Ort haben ein Kind aufs Gymnasium und eines auf die Gesamtschule geschickt, wir haben eines auf dem Gymnasium, eines auf der Stadtteilschule (Gesamtschule). Und für beide passt es, in beiden Familien, so dass unsere Kinder jeweils noch Kind sein können und eben nicht übermäßig nachmittags lernen - sondern übermäßig nachmittags und am Wochenende chillen.

    Und so möchte ich Sußebach zurufen: Änder was. Jetzt! Nimm deinem Kind den Stress. Es kann trotzdem Ärztin werden. Aus dem Irrsinn G8 kann jede schon heute aussteigen. Fast überall außer da, wo Djure wohnt vielleicht, der aber ja sehenden Auges in eine strukturschwache Gegend gezogen ist.

    Und so bin ich immer noch wütend. Und immer noch auf das "System". Aber eben auch auf Henning Sußebach, der selbst seinem Kind die Kindheit nimmt.

    Grüß mal

    In der Generation meiner Eltern gab es die Gattung der "Berufsjugendlichen". Vorzugsweise Sozialpädagogen (ja, meistens männlich), die auf Bauspielplätzen und in der offenen Jugendarbeit der Kirchen arbeiteten. Vorzugsweise solche mit Vollbärten, starken Oberarmen oder einer handwerklichen Begabung, frisch weg mit dem allgegenwärtigen "Du". Vorzugsweise mit einem Hang dazu, nicht das zu werden, was die anderen in der Generation dann "erwachsen" nennen.

    Neulich saß ich mit zwei anderen dicken Männern in meinem Alter zusammen. Genauso kuhle Säcke wie ich, erfolgreich im Web und in Social Media, kreativ, politisch. Gute Leute, die beiden. Freunde? Weiß nicht, aber bestimmt friends. Und damit sind wir beim Kern dieser Geschichte.

    Zum Erwachsenwerden gehört schon immer, dass sich Fremd- und Eigenwahrnehmung annähern. Ich hab Kinder in der Pubertät, ich weiß, wovon ich rede. Dieser Prozess ist schwer und manchmal schmerzhaft. Aber je älter ich werde, desto mehr bin ich überzeugt, dass er notwendig ist. Im Grunde, so kommt es mir vor, ist es der zweite wichtige Schritt nach der Entwicklung des Abstraktionsvermögens (bei den meisten Kindern kommt das im Verlaufe der Vorpubertät, so zwischen acht und zehn). Denn erst aus der Kombination aus Abstraktionsvermögen und einer realistischen Einschätzung, wie andere mich sehen, erwächst die sympathischste Eigenschaft souveräner Erwachsener: Dass sie über sich selbst lachen können. Und damit sind wir nun wirklich beim Kern dieser Geschichte.

    "Grüß mal", sagte der Mensch, als ich erzählte, dass ich diese beiden dicken alten Männer (siehe oben) sehen werde, das seien Freunde. Machte ich. Und sie fragten: "Wer?" Ich erläuterte es. "Kenne ich nicht", sagten sie und kippten Zucker in ihren Grande White Moccha. Dabei folgen sie dem Menschen auf Twitter. Und lesen auch hin und wieder das Blog. Waren bestimmt schon mal zur gleichen Zeit auf einer Twittnite.

    Ich habe ja viel mit jungen Leuten zu tun. Teilweise solchen, die irgendwer irgendwann mal als Hipster bezeichnet hat vielleicht, teilweise mit gefühlten Stars der Szene. Und ich habe immer mehr den Eindruck, dass einigen die gefühlte eigene Bedeutsamkeit in Onlinedingens eine reale Bekannt- oder Bedeutsamkeit vorgaukelt, die sich empirisch nicht bestätigen lässt. Kann es sein, dass eine frühe "große" Onlinereichweite bei einigen faktisch dazu führt, dass sich der Schritt zu einer Annäherung ihrer Eigen- mit der Fremdwahrnehmung verzögert?

    Wenn das keine Einzelfälle sind (und das nehme ich an), dann stellt das uns Alte vor eine enorme Herausforderung. Vor allem in der Organisation von Arbeitsprozessen.

    7.6.11

    Kurz zu @DB_Bahn

    Die Bahn startet also nun morgen eine Art Twitter-Call-Center-Kundendialog-Dingens. Und eigentlich hat Olaf Kolbrück alles gesagt. Denn genau so ist es: Ein Unternehmen, das Kundenkontakt professionell organisiert, KANN Twitter. Punkt. Und dann schreibt er:
    Twitter, als Baustein in einem Prozess verstanden, macht es möglich auf Fragen, Probleme und eine Vielzahl von Eventualitäten vorbereitet zu sein, weil für etliche Fragestellungen und Situationen gerade bei Großunternehmen reihenweise Prozesse (in noch weitaus dickeren Handbüchern) niedergeschrieben sind. Diese Prozesse müssen lediglich für Social Media adaptiert und mit gesundem Menschenverstand verbunden werden. Dann klappt es bei Twitter genauso wie am Telefon.
    Aber weil ich nun auch schon mal einen Blick drauf werfen durfte, gebe ich an zwei kleinen Punkten meinen Senf dazu:
  • Die große Chance sehe ich darin, dass es der Bahn - ähnlich wie der Telekom - recht leicht fallen dürfte, Erwartungen zu übertreffen. Dazu müssen sie mir nur einmal eine brauchbare Antwort geben.
    Zugleich ist das auch die Fallhöhe: Kommunikation ist immer nur der Darmausgang der Probleme, die ein komplexes System nun mal hat. Weshalb ja auch die Worte von PR-Desastern so fehl gehen, das Desaster ist ja dann schon geschehen.
    Ein bisschen die inneren Abläufe von Konzernen kennend, bin ich darum durchaus gespannt, wie es funktioniert. Wie. Nicht ob.

  • Schlimm und falsch finde ich die Auftaktkommunikation. Das Team bei der Bahn hat einen Echtstart verdient, aber kein Spießrutenlaufen. Gerade weil Olaf recht hat (siehe oben), hätte ich zu einem Start ohne Getöse geraten - oder wenigstens zu einem, bei dem relevante Multiplikatoren und nicht in erster Linie die Beraterblase die Hintergrundinfos bekommen. So wie es mit echten Bahnfahrern getestet wurde, was ich sehr gut und schlau finde.
  • Daniel Backhaus und seinem Team wünsche ich einen guten Start morgen. Und gleich gehe ich mal zum Hintergrundgespräch und lasse mir die Dinge erklären, die ich noch nicht weiß. :)

    (disclosure: Ich kenne und schätze die Leute bei der Bahn, die seit Monaten das Projekt vorbereitet haben, ebenso den Berater und die Agentur, die da mit drinhängen [nein, das ist nicht Talkabout, auch wenn das so klingt in manchen Berichten, die machen nur die von mir hier kritisierte PR zum Start des Kanals], und ich war frühzeitig in einige Dinge eingeweiht. Unter anderem, weil ich selbst ja gemeinsam mit meiner Agentur (achtung!) auch Kommunikation für die Bahn mache und dort ebenfalls an Social-Media-Dingens arbeite. An diesem Projekt war ich allerdings nicht beteiligt. Ich habe eine BahnCard 100 und mag die Bahn als Verkehrsmittel schon lange und schon länger als ich für sie arbeite.)

    6.6.11

    Es zerreißt mir das Herz

    Da steht es. Ein Häufchen Elend, ganz gelb, schmal, klein. Und guckt schüchtern von unten hoch. "Ich kann Kyra nicht anstecken", sagt es leise, als wir unseren Hund nicht ganz bis an das Kind heran lassen. Nein, das stimmt. Aber vielleicht hat der Hund Keime, die zu viel sind für das zusammen gebrochene Immunsystem. Beide Ohren halten die zu große Schirmmütze auf dem kahlen Schädel, die Hose rutscht, mehr als zwei Kilo hat es verloren, dabei war es schon vorher schlank. Aber drahtig und wach und wild und aufmüpfig und manchmal nervig und präsent.

    Bei all dem war ich dennoch froh, es zu sehen. Erstmals seit Wochen wieder aus dem Krankenhaus zu Hause. Mama an der Hand, unsichere Schritte, aber frische Luft.

    Und wenn es mir das Herz zu zerreißen droht, denke ich an die Große von Freunden, die heute ein fröhlicher Teenager ist, lebendig, sportlich, intelligent. Und vor zehn Jahren ebenso vor uns stand. Ein Häufchen Elend, ganz gelb, schmal, klein.

    1.6.11

    Haben Sie manchmal Déjà-vus?

    "Ich könnt' ja mal in der Küche nachsehn"

    Angela Merkel war noch Generalin der CDU, da formulierte sie was von der Veränderung, die nötig sei, damit ihre Partei in Großstädten wieder eine Chance bekäme, so Modernisierung und so. Ob Siegmar Gabriel schon geboren war, weiß ich nicht (der wirkt ja immer so kindlich noch im Fernsehn), da probierte die SPD mit einer Probemitgliedschaft, mit Projektmitgliedschaften und mit so Kram rum, der Leute von draußen einbinden sollte, damit sie den Draht in die Bevölkerung nicht verliert. Unser Ortsvereinsvorsitzender Hans Peters fand das doof. Vom "Hamburger Kessel" erfuhr ich 1986 von Freunden, die vorbei kamen, weil sie gerade von Freunden davon gehört hatten, dass Freunde gerade eingekesselt worden waren.

    Liegt es daran, dass ich alt werde? Oder mich schon damals mehr als der Durchschnitt für Politik interessierte? Oder ist es wirklich so, dass die beiden alten Volksparteien einfach immer wieder zyklisch die gleichen Ideen nicht umsetzen, von denen sie immer wieder zyklisch erkennen, dass sie nötig wären? Der dritte Dings fällt da raus, ja, ich weiß, da geht es mehr um die Facebook-Revolution, von der ich allenthalben hörte. Da hab ich mal in der Küche nachgefragt.

    Mir zeigt es, auf die Schnelle runtergeschrieben, irgendwann vielleicht mal mehr, vor allem dreierlei:
    • Die beiden ex-großen Parteien diskutieren in einer politisch neuen Situation (dazu gleich) das, was sie auch früher diskutiert haben. Und darum werden sie weiter verlieren und am Ende scheitern.
    • Menschen haben sich verändert, eine neue Generation ist nachgewachsen - aber wenn es pressiert, haben wir uns immer schon zu organisieren gewusst. Das Heiligengeistfeld war überall. Spanien ist überall.
    • Die neue Situation ist entstanden, als sich zur Generation meiner Eltern (der Generation Kessel, Kalkar, Wyhl) und den versprengten Aktiven meiner Generation nun die Generation meiner Kinder gesellt. Drei Generationen gemeinsam, die mit CDU, SPD, Atom und Bahn nichts anfangen können.

    Und die gleichen Leute, die die Aktiven in der Generation meiner Eltern verlacht haben und nicht ernst nahmen, sind jetzt überrascht, dass sie wieder da sind - und diffamieren sie als Wutbürger. Und ihre Kinder in meiner Generation, die heute die publizistische und politische Elite bilden, verstehen nicht, was da passiert, wenn unsere Kinder sich so organisieren wie unsere Eltern damals, nur mit einem neuen Medium. Und alle stehen sie erstaunt davor, dass aus diesem Dingens eine neue Volkspartei, eine Volkspartei Neuen Typs emporsteigt.

    Und Sie? Haben Sie manchmal auch Déjà-vus?