29.1.11

Spaß bei der Arbeit

Mehr durch Zufall musste ich an mein eigenes Schülerpraktikum damals vor rund genau* 25 Jahren denken. Nicht mal besonders, weil Primus gerade seine drei Wochen Praktikum bei einer Tierärztin hinter sich hat (und nein, ich will die Fotos von der Operation nicht sehen, als sie gemeinsam einen Hund aufgeschnibbelt haben und er alle inneren Organe für seinen Praktikumsbericht dokumentiert hat). Sondern weil heute früh @pfarrerpohl darauf hinwies, dass Ephraim Kishon heute seinen sechsten Todestag hat. Und weil ich ihn damals kennengelernt habe (und später als Radiomacher noch einmal traf, als ich ihn interviewen wollte - und er tatsächlich genau so arrogant reagiert, wie es immer über ihn hieß, dass er es sei).

Da mir im Prinzip schon klar war, was ich beruflich machen oder zumindest studieren wollte, als das Praktikum anstand, habe ich etwas gemacht, was mich fasziniert hat damals - ich habe mich bei allen Theatern dieser Stadt beworben und wurde bei den Kammerspielen in der Requisite genommen. Es war ein richtig tolles Praktikum (bei dem ich als Kollateralnutzen im Aufenthaltsraum der Theatermitarbeiter die Nullnummer, oder war es die Ausgabe 1?, der neuen Zeitschrift Tempo sah, las und danach abonnierte und liebte, ach die 80er). Die große Ida Ehre fragte mich einmal die Woche, wie es mir gefällt und geht. Grit Boettcher musste ich irgendwelchen Kram besorgen, an den ich mich nicht mehr erinnere, Requisite eben. Und dann begannen die ersten Proben zu Es war die Lerche. Ich hab die Besprechung der Bühnenbauer mit dem Regisseur mitgehört. Und die ersten Sprechproben. Und dann kam der Autor.

Für mich, der ich seine Bücher sehr mochte damals, war es ein besonderes Erlebnis, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Wie er, ja, tatsächlich auf eine merkwürdig schnodderige Art zugleich arrogant und wienerisch-charmant in seinem beigen Trenchcoat auftauchte und alle ihre Arbeit unterbrachen. Wie er ungeduldig mit dem Regisseur sprach. Wie er mit den beiden Schauspielern am Text arbeitete.

Als ich später das Stück sah, war ich enttäuscht. Ich fand es doof.

***

Sagte ich eigentlich schon mal, wie toll ich simfy finde? Dass ich in ganze Alben erstmal reinhören kann, bevor ich entscheide, ob ich sie kaufe? Gerade in das neue von Heinz Rudolf Kunze. Echt jetzt. Bin halt ein Kinder der 80er, nicht nur in Bezug auf Tempo.

* nachdem ich jetzt noch mal nachgeguckt habe, muss es sogar GENAU vor 25 Jahren gewesen sein, denn Januar 1986 ist Tempo erstmals erschienen. Und an genau diese Adelsausgabe und dann das sehr umstrittene Wehner-Interview (wir linken Sozis haben Tempo vorgeworfen, dass sie den senilen Wehner nicht vor sich selbst geschützt haben) in Nr. 2 erinnere ich mich jetzt wieder sehr lebhaft. Wobei die großartigste Geschichte in diesem ironischen Popjournalismus die "Postmoderne" überschrieben Bildstrecke war, in der lauter moderne Postgebäude abgebildet waren. Die erschien aber im "Wiener" und nicht in der "Tempo", in der dafür eine tolle Geschichte über Bebra und seinen Eternit-Chick stand.

26.1.11

Antireaktionäres Plädoyer

Wer kennt sie nicht, die guten Dinge die Leute, die Manufactum für eine passende Signatur ihres Lebensstils halten? Genau die habe ich vor Augen, wenn ich Sascha Lobos sehr gute Kolumne auf SpOn von heute lese, sein Plädoyer gegen Entschleunigung, diesen absurden, monströsen Fetisch der (Öko-) Reaktionäre. Er hat mir (dass ich das noch erleben darf) aber so was von aus der Seele gesprochen.

Ich denke, Sascha irrt sich nur in dem kleinen Abschnitt, in dem er Stress gut findet. Denn wiewohl er selbst auch ein Reaktionär ist, hat Reinhard K. Sprenger doch Recht mit seinem Spruch, Stress sei der "Orden der Unbegabten". Im Grunde entsteht (dauerhafter, denn nur der ist das Problem) Stress ja doch vor allem dadurch, dass eine eben das Atmen zwischen hoher Geschwindigkeit und absoluter Ruhe vergisst.

Ansonsten: Einer der Texte, die ich gerne selbst geschrieben hätte, der - wie ich hoffe: verständlich - erklärt, was das eigentliche Thema sein sollte.
Genau wie den Umgang mit der beschleunigenden Technologie muss man das Versäumen lernen, das beste Mittel gegen die Überforderung. Diese Kultur des Verpassens ist das Eingeständnis, dass die Welt zu schnell ist, egal wie schnell sie ist. Deshalb ist Entschleunigung keine Lösung, sie kann sogar gefährlich sein, weil sie wie das lauwarme Nichtschwimmerbecken ist. Man hält es ewig darin aus, aber lernt niemals schwimmen. (Lobo auf SpOn)
Ja, dass es einem zu viel wird, das kenne ich auch, zur Genüge, wenn ich ehrlich bin. Und ja, auch ich leide immer wieder darunter, dass ich den Eindruck habe, mein Leben sei immer schneller geworden. Aber ich habe eben auch die gleiche Erfahrung gemacht wie Sascha und die meisten anderen digital pioneers, die ich kenne: Ich genieße es, im Strom zu sein. Und ich kann und darf ihn auch mal vorbeiziehen lassen.

Wie Clay Shirky richtig feststellt: Es ist eine Frage der Filter. Alte Filter (auf Medien, Informationen, die Welt) sind zerbrochen, einige von uns haben schon neue Filter, andere noch nicht - aber die Überforderung ist ein Filterproblem und ein Problem, mit dem Mut zur Lücke zurecht zu kommen, nicht aber ein Problem der Menge oder der Geschwindigkeit.

Es gibt keine gute alte Zeit. Die alte Zeit ist schlechter als unsere. Mein Leben ist - tschuldigung - besser als das meiner Eltern, als die in meinem Alter waren, viel besser als das meiner Großeltern, als die in meinem Alter waren. Es ist in manchem schneller. Und in anderem entspannter. Und ganz ehrlich, allem Streit, aller Probleme, aller Sorgen zum Trotz: mein Leben ist schön.

24.1.11

Wahlempfehlung zur Bürgerschaftswahl

In knapp vier Wochen wird in Hamburg gewählt. Diesmal ist es etwas kompliziert. Nicht nur der Inhalte wegen, sondern auch, weil wir Hamburger insgesamt je zwanzig Stimmen haben - zehn für die Bürgerschaft und zehn für die Bezirke. Insgesamt ist das Wahlrecht sehr personalisiert, was aus meiner Sicht zwei (gute) Konsequenzen hat: Ich muss oder zumindest kann mich mit konkreten Menschen auseinandersetzen und dem, was sie wollen und wofür sie stehen. Und ich kann "Nachbarinnen" wählen, also vor allem im Wahlkreis Menschen, die für mich auch im Alltag ansprechbar sind, die die Probleme vor Ort kennen und so weiter.

Beides werde ich tun.
Und für beides werbe ich.

Landesliste

Die Liste, die die Parteien zur Wahl stellen, hat keine Bedeutung mehr. Darum halte ich es für wichtig, sich anzugucken, wen ich in der Bürgerschaft sehen will und wen nicht. Da ich Leute kenne, die GAL, SPD und CDU wählen wollen, hier meine Empfehlungen genau da für. Denn die schlechteste Lösung wäre, einfach nur die Landesliste zu wählen.

(1) GAL Landesliste
Ich werde mit allen fünf Stimmen Michael Gwosdz wählen, sobald ich seinen Namen richtig schreiben kann. Michael, auf Platz 8 der Bürgerschaftsliste, war in den letzten Jahren vor allem in der Schulpolitik aktiv und hat immer den Kontakt zu "uns Betroffenen" gesucht. Das wirklich komplexe Thema Schulreform, das mehr ist als die Einführung der Primarschule, denn es hat sehr viel zu tun mit all dem, was sich glücklicherweise gerade inhaltlich und pädagogisch ändert, vor allem am Problemkind der Hamburger Schulen, den Gymnasien, dieses Thema hat er super kompetent getrieben. Vor allem aber ist er - wenn ich es richtig sehe - der einzige aussichtsreiche Kandidat aller Parteien auf Landeslisten, der bei dem mir sehr, sehr wichtigen Thema Netzpolitik zuverlässig ist. Er begreift es, lebt "unser" Leben, nimmt uns Onliner auch politisch ernst (informiert uns und fragt uns, auch wenn wir nicht zu Offline-Parteiveranstaltungen gehen, weil wir einen Job und eine Familie haben beispielsweise), er zieht die richtigen Schlüsse. Klare Empfehlung und die Bitte, ihn weiter nach vorne zu befördern mit euren Stimmen direkt für ihn. Fragt ihn sonst selbst, was er zu euren Themen denkt.

(2) SPD Landesliste
Schwieriges Thema, weil nicht nur Nico mir immer vorwirft, da besonders kritisch zu sein, was vielleicht an enttäuschter Liebe liegt, denn ich bin ja zweimal aus der Partei ausgetreten. Aber Leute, das ist ja nun wirklich schwer. Netzpolitisch nix, schulpolitisch nix, Wirtschaft jenseits von Hafen nix. Korrigiert mich, aber es ist irgendwie schon traurig. Aber eine Idee habe ich, wenn denn jemand unbedingt SPD wählen wollen sollte. Mein guter Freund Michael Hüttel kandidiert auf Platz 42, also auf der zweiten Seite des Wahlzettels. Er hat mir versprochen, sich in Netzfragen von mir beraten zu lassen. Immerhin. Verkehrspolitisch nicht verlässlich für die Stadtbahn, aber gegen die Autolobby, so als überzeugter ÖPNV- und Fahrradmensch. Insofern fände ich es schon gut und wichtig, dass er in die Bürgerschaft kommt.

(3) CDU Landesliste
Ganz übel, ja. Im Grunde ist ja auch nur wichtig, dass ihr jemanden wählt, der nach Platz 5 kommt, damit Scheuerl nach hinten durchgereicht wird. Also vor allem, wenn ihr die CDU gut finden solltet, wäre das ja wohl Pflicht. Erst dachte ich, der Wersich könnte eine Empfehlung sein, aber in Schulfragen eiert er ja grotesk rum und nett finde ich ihn auch nicht. Auf PLatz 23 kandidiert allerdings Claudia Folkers. Die kann man wählen. Sie stand fest zu moderner Schule und ist als Quereinsteigerin nicht in den klassischen Wandsbeker Seilschaften drin. Meine Jungs hat sie als Leichtathletiktrainerin sehr gut trainiert, wenn das ein Argument sein mag (weiß nicht). Vor allem aber hat sie einen eigenen Kopf, den kann man in der Opposition ja immer gut gebrauchen. Also: Schulpolitisch gut, Bildung und Sport gute Kenntnisse der Realität, bei uns aus dem Stadtteil. Geht.

Wahlkreise

Im Wahlkreis finde ich es sehr schwierig. Zumal in "meinem" Wahlkreis 14 (Rahlstedt). Die Stimmen sind wichtig, das Gesamtergebnis ändern sie nicht. Letztes Mal habe ich beispielsweise mitgeholfen, einen jungen, kompetenten Mann an der Nomenklatura der SPD vorbei in die Bürgerschaft zu wählen. Und darum werde ich beispielsweise auch die grüne Kandidatin auf Platz 3, Karin Jung, wählen, zumal ich es sehr schräg finde, wie der stellvertretende Landesvorsitzende der Grünen, der weit weg vom Wahlkreis wohnt und keine Ahnung von irgendwas hat, das uns betrifft in der Realität, so schön gegen unsere Regeln, dass Frauen auf ungeraden Plätzen kandidieren, verstößt. Wobei ich zugebe, dass ich ihn nicht verhindert habe, weil ich nicht bei der Wahlversammlung war. Karin ist eine gute, wirklich - die gehört in die Bürgerschaft.

Meinen Großeltern im Wahlkreis 1 (Mitte) habe ich ja schweren Herzens Hansjörg Schmidt in Horn empfohlen. Zwar gehört er zur Truppe des SPD-Kaders, den ich am unangenehmsten von allen finde (und hey, den kenne ich noch aus den 80er Jusozeiten), aber er ist netzpolitisch zuverlässig - und wenigstens einen Netzpolitiker sollte auch die SPD in der Bürgerschaft haben, finde ich.

Und in Altona (Wahlkreis 3) gibt es einen echten Lichtblick: Lars Brücher, auf Platz 4 der grünen Wahlkreisliste, muss rein, finde ich, auch wenn ich ihn nicht wählen kann, weil ich am anderen Ende der Stadt wohne. Netzpolitik, Wirtschaftspolitik - in seinen beiden Schwerpunkten bin ich so voll auf seiner Linie, dass es schon fast unheimlich ist.

***

Dass ich selbst Mitglied bei den Grünen bin und insofern insgesamt eher voreingenommen, wisst ihr. Bei den drei Themen, die mir dieses Mal aber am wichtigsten sind, halte ich die Grünen auch tatsächlich für die sozusagen objektiv (hust) beste Wahl: Schul- und Bildungspolitik, Wirtschaft jenseits des (überschätzten) Hafens, Netzpolitik. Darum hier noch das Wahlprogramm der GAL, Netzpolitik ist da übrigens auf Seite 29 zu finden und deckt sich sehr mit meinen Forderungen an eine grüne Netzpolitik (ok, hab da ja auch mit dran formuliert).



Alle grünen Kandidatinnen für die Bürgerschaft sind online, übrigens.

13.1.11

Liebe Journalisten, wir müssen reden

Es gab Zeiten, in denen guter Journalismus Geschichten von echten Menschen erzählt hat, von Schicksalen beispielsweise. Nur leichte Verfremdung oder auch gar keine waren nötig, denn die Menschen, um die es ging, die Opfer von Verbrechen oder Missverständnissen wurden, waren weit weg. Nur die Zeitungsleute kannten sie und einige wenige Bekannte oder Nachbarn erkannten sie durch den Bericht hindurch.

Diese Zeit ist vorbei. Im Großen und im Kleinen. Das kann als Journalist bedauern, wer will. Was ich aber gefährlich finde, ist, wenn die journalistische Arbeit nicht von Zweifeln angekränkelt ist, ob die alten Methoden noch ausreichen, um sauber zu sein - und beispielsweise Opfer zu schützen.

Das wurde mir so deutlich, als ich vor ein paar Tagen einen Fall in mehreren Hamburger Zeitungen verfolgte, der überall groß (und bei der Mopo, aber wer wollte das anders erwarten, verblödet reißerisch entstellt "K.O.-Tropfen im Messwein", aber lassen wir das, wir wollen ja über Journalismus reden) gefahren wurde.

Es ging, grob, um einen sehr unklaren Sex-Fall in einer Kirche, denkbar ist, dass Vergewaltigung im Spiel ist. Ich formuliere es so zurückhaltend, weil nichts klar ist bisher. Die Angaben, die beispielsweise im Hamburger Abendblatt über die beiden beteiligten Erwachsenen gemacht wurden, haben dazu geführt, dass ich 20 Sekunden brauchte (Google und archive.org sei Dank), um den ersten Namen rauszubekommen und festzustellen, dass ich den Menschen kenne. Und weitere 25 Sekunden, um den anderen Menschen eindeutig zu identifizieren, den ich nicht kannte - und von dem das Abendblatt, weil es möglicherweise das Opfer war, nicht mal einen (Vor) Namen nannte. Weitere 20 Sekunden, und ich hatte Bilder und die gesamte bisherige Biografie dieses Menschen, obwohl aus Profilen bei Xing und Facebook die Bilder "gelöscht" worden waren. Die Angaben im Abendblatt waren - für mich - so wenig anonymisiert, dass ich wusste, von welchem Portal die Zeitung die wesentlichen Infos über den Menschen hatte.

Nun kann man - zynisch - argumentieren, dass dieser Mensch sich ja nicht einem Medium gegenüber hätte äußern müssen (was offenbar in einem Fall geschehen ist). Aber ich habe mich (auch angesichts der imho an sich nicht wirklich berichtenswerten Geschichte) schon gefragt, ob das Abendblatt aus diesem Vorfall wirklich eine zwei Tage lange und insgesamt fast eine ganze Zeitungsseite große Skandalgeschichte machen musste, deren Motivation am Ende doch vor allem sich daraus speist, dass Sexskandale und Sexverbrechen in Kirchen (und noch recht frisch ja in der evangelischen Kirche in Hamburg, siehe den Rücktritt der Bischöfin) gerade so gut funktionieren.

Vor zehn Jahren wäre die Zeitungsgeschichte nicht wirklich problematisch gewesen, denn ich hätte nur gewusst, um wen es geht, wenn ich jemanden kenne, der vor Ort wohnt, in der Kirche aktiv ist und mir Auskunft gibt. So habe ich nach einer knappen Minute alle Infos über die beteiligten Menschen. Nun wird jemand anders sich diese Minute Arbeit vielleicht nicht machen, der nicht ohnehin den Eindruck hätte, dass er einen der beiden Menschen kennen müsste, von früher. Aber das macht es nicht besser.

Liebe Journalisten, seid ihr euch wenigstens bewusst gewesen, als ihr diese Geschichte schriebt und ins Blatt gehoben habt, dass ich ohne jede Anstrengung sofort alles das weiß, was ihr so verantwortungsvoll nicht sagt? Wovon ihr dachtet, dass ihr es quasi anonymisiert habt? Oder glaubt ihr wirklich, dass es noch immer so ist wie früher? Dass wir mit Schauder, Empörung oder Freude euren Geschichten lauschen, von denen wir wissen, dass wir nie wissen werden, um wen es in Wirklichkeit geht?

Ich habe keine Lösung. Aber ich frage mich, ob solche Geschichten wie die, an der es mir jetzt so sehr aufgefallen ist, noch geschrieben werden sollten. Und wenn, ob sie noch so geschrieben werden sollten. Ob der Anspruch, Menschen und ihre Privatsphäre und Würde zu schützen, neue Kriterien für Geschichten braucht. Gerade im skandalisierenden Lokaljournalismus.

12.1.11

Ceterum Censeo: Noch einmal zu Ungarn

Gestern bekam ich mit der Schneckenpost eine Mitteilung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Unter der Nummer Pet 3-17-05-06-018106 hatte ich am 22.12. folgende Petition als Onlinepetition eingereicht:
Der Deutsche Bundestag möge beschließen:

Der Deutsche Bundestag erkennt die europäische Ratspräsidentschaft Ungarns nicht an und fordert die Bundesregierung auf, die bilateralen Beziehungen mit Ungarn einzustellen und ungarische Kandidaten, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben, nicht zu unterstützen. Der ungarische Botschafter soll nur noch auf technischer Ebene empfangen werden, bis die Medienbehörde NMHH wieder abgeschafft ist und die Pressefreiheit hergestellt.
Heute nun schreibt mir Herr Aßmus im Auftrag der Vorsitzenden des Petitionsausschusses (Auszug):
Ihre Eingabe wird in Übereinstimmung mit den geltenden Verfahrensgrundsätzen nicht als öffentliche Petition zugelassen. Sie wird jedoch im Rahmen eines allgemeinen Petitionsverfahrens - ohne Einstellung ins Internet und öffentliche Diskussion - behandelt.
Es folgt der übliche Hinweis, dass das lange dauern wird und ich Geduld haben möge. Faktisch heißt das ja, dass nach der Prüfung das Thema erledigt ist, weil der erste Satz dann vorüber ist, das halbe Jahr Präsidentschaft um.

Liegt es am ersten Satz, der möglicherweise nicht in die Zuständigkeit des Bundestages fällt? Oder was sind denn die Verfahrensgrundsätze? Frage ich gerade nach, aber die Antwort wird dauern.

Was mich betrübt: Das Thema ist nach einer kurzen Aufregung, auch in den Medien, von der Tagesordnung der Diskussion. Dass der Außenminister nichts zum Ausscheren Ungarns aus der Demokratiegemeinschaft sagt, habe ich ja erwartet. Dass das Thema genauso schnell aus der deutschen Diskussion verschwindet wie die Zustände in Weißrussland und Russland, empfinde ich aber als Skandal. Denn dass Weißrussland eine der zwei letzten europäischen Diktaturen ist, wissen wir ebenso wie die Tatsache, dass Russland nur von Idioten Bundeskanzlern für eine lupenreine Demokratie gehalten wird. Ungarn aber ist in der EU, ist also Inland, nicht Ausland. Gehört zu dem, was ich Heimat nenne.

Vielleicht sollten andere diese Petition einfach auch noch ein paar Mal einreichen? Vielleicht sogar mit gleichem Wortlaut? Meine Begründung übrigens war am 22.12. (und erklärt auch, warum ich mich exakt (!) an die Formulierung anlehne, die damals von der EU gegen Österreich verwendet wurde):
Mit der Einschränkung der Pressefreiheit, die ab 1.1.2011 gilt, verlässt Ungarn den Wertekanon der EU. Eine Reaktion analog zu den Sanktionen gegen Österreich im Jahr 2000, als die FPÖ in die dortige Bundesregierung eintrat, ist notwendig. Die Ratspräsidentschaft eines Landes kann nicht akzeptiert werden, das so eklatant gegen die gemeinsame politische Kultur der EU verstößt.
Mein ceterum censeo für die nächsten Monate ist: Ungarn darf nicht wie ein normales EU-Mitglied behandelt werden.

10.1.11

Das Monster der Falschheit

Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich mich am allermeisten aufregen kann, wenn jemand in einer Position, die an sich normalerweise Bildung voraussetzen sollte, ungebildet ist - also vor allem ohne profunde Kenntnisse in Geschichte, Kulturgeschichte, Kunst, Literatur und Religion daherplappert. Da kann ich sehr zum Snob werden.

Und darum wird der Titelbildredaktion des Spiegel wahrscheinlich die beißende Ironie gar nicht bewusst gewesen sein, als sie ihre Geschichte sehr wahr mit einer Adaption der legendären Karikatur von A.Paul Weber illustrierten, um zu verdeutlichen, dass sie sich an der faktenfreien, schlagenzüngigen, großmäuligen, krakenhaften Gerüchteküche über "das Internet" beteiligen.



(Bild merkwürdigerweise ohne Rechtehinweise zum Download abgelegt beim Webermuseum in Ratzeburg, das übrigens einen Besuch wert ist. Ob die es wirklich zur Verfügung stellen? Ich habe es hier vorsichtshalber mal nur verlinkt)

(Zum Thema selbst ist alles und überhaupt gesagt)

9.1.11

Fotoshooting im Schnee mit Pferden

Bei uns um die Ecke wohnt die sehr gute (Pferde-) Fotografin Karen Diehn. Und am ersten Januarwochenende hat sie einige von uns auf dem Hof als Laienmodels eingesetzt. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, wenn jemand Fotos macht, die etwas davon versteht. Von Gruppenfotos -

eine Gruppe im Schnee

über "Wendybilder" -

Secundus und Gjosta zwei grinsende Sportler
Sæla und ihre Reiterin

bis hin zu Bewegungsfotos, bei denen der Schnee spritzt, -

Galopp II

Tilberi im Galopp

oder eben Fotos mit besonderer Haltung (und ohne störende Menschen) -

unsere drei Pferde

(alle Fotos, anders als sonst bei den von mir veröffentlichten und abweichend von der Lizenz, unter der dieses Blog erscheint, mit "klassischem" Copyright, also all rights reserved. Karen lebt vom Fotografieren, bitte respektiert das, darum sind diese Fotos auch nicht bei Facebook, wo man der Plattform ja weitreichende Rechte einräumt)

Wir überlegen, unser Jahresfoto im Herbst auch mal von Karen machen zu lassen, alle Menschen und Tiere unserer Familie.

6.1.11

Wo kämen wir denn hin,

wenn jeder sagte,
wo kämen wir hin,
aber keiner ginge,
um zu sehen,
wohin wir kämen,
wenn wir gingen.


Kurt Marti

***

Vor einigen Jahren wohnten wir in Duvenstedt. Das gehört zu den Walddörfern in Hamburg, also zum so ziemlich besten Teil der Stadt, wisst schon, so mit Familiendurchschnittsnettoeinkommen 100k und so. Unsere Neubausiedlung, leicht außerhalb, viele Kinder, lag hinter einer nicht ganz ungefährlichen Kurve, in der LKW mit leicht überhöhter Geschwindigkeit hin und wieder Ladung (Stohballen und so) verloren. Dort ging der Schulweg lang. Einige wohlsituierte Eltern hatten die Idee, den Fußweg um ein paar Meter zu verlegen und sind an das Bezirksamt (unsere Kommunalbehörde damals) herangetreten, ob sie das nicht einfach machen dürften, sie würden es auch selbst bezahlen, wenn kein Geld da wäre. Das ging in den Bauausschuss der Bezirksversammlung. Und der hat abgelehnt.

Grund war nicht, dass es nicht sinnvoll wäre, im Gegenteil: einige Jahre später wurde es umgesetzt, damals schon auf die Prioritätenplanungsliste (oder wie immer das heißen mag) gesetzt. Aber die Duvenstedter bekamen keine Genehmigung, eigenes Geld einzusetzen. Die Begründung: Ja, es sei wichtig, aber andere Maßnahmen, in Steilshoop oder Jenfeld (zwei unserer bezirklichen Ghettos sozialen Brennpunkte), seien auch wichtig, und dort könnten sich die Anwohner nicht mal eben leisten, so was selbst zu bezahlen. Das sei also ungerecht.

Stimmt. Und viel gerechter ist es selbstverständlich, dass dann nur zwei der drei wichtigen Projekte gebaut wurden, eines davon in Duvenstedt, und das alles Jahre später.

Daran musste ich, tut mir leid, denken, als ich diese beiden Reaktionen heute morgen bekam auf meinen Aufruf, für die NCL-Stiftung zu stimmen beim Aspirin-Sozialpreis.




Ja, ihr habt Recht. Da ist eine Schieflage. Aber findet ihr es nicht zynisch, NICHT für die NCL-Stiftung zu stimmen und nicht einen Beitrag zu leisten, dass sie vielleicht das Geld bekommen für ihre Arbeit, weil ihr den Konzern, der das Geld raustut, ablehnt oder weil nicht alle, die betroffen sind, die Seite aufrufen können?

Ja, das mag Whitewashing sein (ich kenne Bayer nicht gut genug, um das wirklich sagen zu können). Ja, das ist eine PR-Nummer. Ja, die Seite ist nicht gut und nicht gut programmiert und doof und hässlich und hat Barrieren und und und. Aber die NCL-Stiftung macht eine gute Arbeit, die ich kenne, weil eine Freundin von mir da arbeitet. Und dadurch weiß ich auch, wie schwer sie es hat, an Zustiftungen und Preise zu kommen, weil das Thema zwar grauenvoll ist, aber die Anzahl der Betroffenen klein.

Bitte gebt euch einen Ruck und stimmt für die. Auch wenn es euch zuwider sein sollte, aus welchen Gründen auch immer, was der Preisauslober sonst noch so macht.

4.1.11

Nicht immer nur auf den BDZV schimpfen, ...

... denn wenn sogar die oberste ARDeuse auf deren Propaganda reinfällt, müssen die - mit der professionellen Brille betrachtet - doch echt gut sein. Aber eigentlich geht es um was anderes. Nämlich dies:

Mir ist Stefan Niggemeier oft ein bisschen zu selbstgefällig (und das mag ich nur bei mir selbst vorbehaltlos akzeptieren). Aber wo er Recht hat, hat er Recht. Als ich die letzten Tage aus dem Augenwinkel die grotesken Bemerkungen der neuen ARD-Intendantin oder wie das heißt las, musste ich erst lachen, dann weinen und dann schimpfen. Gegen diese abstrusen bekloppten verwirrten Aussagen von Frau Piel (Zusammenfassung beispielsweise hier bei SpOn) ist die GEZ-Kita-Farce und die Berichterstattung darüber geradezu geprägt von Wissen. Das mal dazu.

Aber ich könnte über Unwissenheit hinwegsehen und mich gemeinsam mit Markus Siepmann damit trösten, dass eben immer die auf den Chefposten rotieren, die aktuelle Diskussionen am wenigsten verfolgt haben, wenn es nicht so wäre, dass schon die Regelungen, mit denen ich Gebührenzahler regelmäßig enteignet werde, wenn ARD und ZDF ihre Inhalte depublizieren müssen, meiner Meinung nach gegen meine Rechte als Gebührenzahler verstießen. Oder, wie Stefan in seinem Brief an Piel schreibt:
Wir bekommen aber ein Problem miteinander, wenn Sie auf meinem Rücken und dem von Millionen Gebührenzahlern den Verlegern bei dieser Strategie helfen wollen. Unter bestimmten Bedingungen wollen Sie öffentlich-rechtliche Inhalte, die für Geräte wie das iPad aufbereitet wurden, nur noch gegen Geld zugänglich machen. Ich habe Neuigkeiten für Sie, Frau Piel: Wir haben diese Inhalte schon bezahlt. (Stefan Niggemeier)
Die Mediatheken und beispielsweise die wirklich gute Tagesschau-iPhone-und-Android-App sind die ersten Angebote, die mich als Gebührenzahler bedienen. Nein, nicht die ersten - den ARD-Radio-Tatort-Podcast und den Podcast der logo-Nachrichten nutze ich ja auch.

Na, Frau Piel, merken Sie was?

Ich senke den Altersdurchschnitt Ihrer Nutzer trotz meines nun auch schon fast biblischen Alters auf die Hälfte, aber ich nutze weder UKW noch DVB-T, um ihre Dingens zu empfangen, sondern das Netzwerk der Telekom oder meines Arbeitgebers (oups), um es bequem dann zu gucken oder zu hören, wann ich will.

Sagt mal, ihr Medienjuristen unter meinen Leserinnen: Wie klage ich denn eigentlich in Karlsruhe gegen die Depublizierungspflicht, die die Verleger bei den Bundesländern durchgesetzt haben? Wer hilft mir dabei? Ich mein, wenn schon die Ober-ARDeuse nicht versteht, was wir Zahler (und ich zahle gern!) bezahlt haben, wird es nun wirklich langsam Zeit, sie zu ihrem Glück zu zwingen, oder?