27.12.10

Grüne Netzpolitik in Hamburg - Vertrauen zurückgewinnen

Jetzt, wo es in Riesenschritten auf die Neuwahlen in Hamburg zuläuft und an allen Ecken und Ende am grünen Wahlprogramm geschraubt wird, habe ich mich ein bisschen engagiert und auch am Entwurfstext rund um Medien- und Netzpolitik mitgearbeitet. Quasi als Abfallprodukt sind einige Überlegungen entstanden, was grüne Netzpolitik in und für Hamburg heißen kann. Dieses Papier habe ich auch begonnen, in die innerparteiliche Diskussion zu geben. Da ich denke, dass gerade ein Thema wie Netzpolitik - ein Bereich, in dem Grüne in diesem Jahr viel richtig gemacht aber eben auch viel Vertrauen verspielt haben - öffentlich diskutiert werden sollte, schreibe ich es auch mal ins Internetz rein. Den Text habe ich auch bei slideshare öffentlich zugänglich hochgeladen, hier im Volltext.

Idee des Papiers ist, Netzpolitik für Nichtfachleute verständlich zu machen. Darum wird es manchen Fachleuten vielleicht an der einen oder anderen Stelle allzu oberflächlich oder holzschnittartig vorkommen. Aber um Netzpolitik aus der Nische zu holen, in die sie nicht gehört, müssen "wir" uns imho bemühen, die Themen und Punkte, die uns wichtig sind, so aufzubereiten, dass andere sie verstehen. Und uns wohl auch auf einige wenige Punkte beschränken.

Was denkt ihr?


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Vertrauen zurückgewinnen -
ein Zukunftsthema glaubwürdig besetzen.

Strategische und inhaltliche Überlegungen zur Netzpolitik der GAL
von Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach

In den letzten zwei Jahren hat die GAL einiges an Vertrauen bei den so genannten “Netzbewohnern” und der digitalen Elite verspielt. Es ist uns nicht immer gelungen, deutlich zu machen, wo wir stehen und dass (oder ob) unser Handeln in der Netzpolitik von (Fach-) Wissen, Analyse und einer politischen Haltung geprägt ist.

Das ist umso bedauerlicher, als Hamburg das Zentrum der internetbasierten Wirtschaft in Deutschland ist. Nicht nur die wichtigsten Medienunternehmen haben ihren Sitz in Hamburg sondern auch die Deutschlandzentralen beispielsweise von Google und Facebook, die wie kaum andere zurzeit das Bild des Internet für die Menschen prägen. 2010 wurden in Hamburg zwei der wichtigsten kreativen Inkubatoren für junge Internetunternehmen gegründet. Hamburg hat sich zur Hauptstadt der nächsten Generation von Gründern entwickelt.

Hamburger Grüne waren in den Diskussionen um Daten- und Verbraucherschutz im Internet in den letzten zwei Jahren durchaus präsent und haben mit hoher und glaubwürdiger Expertise (Justiz, Datenschutz) Positionen bezogen. Es ist uns als GAL aber nicht hinreichend gelungen, diese Expertisen mit technologischer und netzpolitischer Kompetenz zu verbinden und zu einer konsistenten und glaubwürdigen Position zu kommen. Sowohl beim Daten- und Verbraucherschutz in Sozialen Netzwerken als auch beim “Lex Google” haben wir aus dem Versuch heraus, das richtige zu tun, den Blick auf die besonderen Herausforderungen des Netzes als Infrastruktur verloren.

In keiner der Debatten im Feld der Netzpolitik war die GAL in den letzten zwei Jahren erkennbar, obwohl das Thema aus der Nische in das Zentrum des Interesses gerückt ist. Als Netzpolitikerinnen müssen wir feststellen, dass wir unser Thema und unsere Expertise nicht deutlich genug in die Diskussion und den Meinungsbildungsprozess der GAL und der Bürgerschaftsfraktion eingebracht haben.

Insbesondere bei der Verhandlung des Jugendmedienstaatsvertrags (JMStV) durch den Senat und bei der Ratifizierung durch die Bürgerschaft hat unser Kompass versagt. Dass auch wir Netzpolitikerinnen dieses Thema zu spät und zu leise auf die Agenda der GAL zu setzen versucht haben, waren ein Fehler und ein Versäumnis, die uns Vertrauen gekostet haben.
Unser Ziel ist es, das Vertrauen, das die digitale Elite in uns hatte, die uns als Grünen eigentlich nahesteht, zurückzugewinnen. Dafür müssen wir klare Positionen beziehen und uns von der populistischen Placebopolitik der anderen Parteien abgrenzen. Dass die Hamburger Bundestagsabgeordneten in der Frage des Aufbaus einer Zensurinfrastruktur (Zugangserschwerungsgesetz) standhaft waren, erleichtert uns dabei sehr. Ebenso, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, ein Hamburger Grüner, eine ausgewogene Position vertritt.

Netzpolitik wird mehr und mehr zu einer Querschnittsaufgabe, die neben Medienpolitik, Rechtspolitik und Datenschutz auch ordnungs- und wirtschaftspolitische Fragen (fairer Zugang, Infrastruktur) und Fragen der Demokratie (Transparenz, Open Data) berührt. Grüne Netzpolitik unterscheidet sich von monothematischen Ansätzen dadurch, dass sie alle Politikbereiche durchwebt. Dies in der Praxis einzulösen, wird das Versprechen sein, an dem die GAL sich messen lassen muss.
In den kommenden Jahren stehen einige wichtige Weichenstellungen in der Netzpolitik an, die Grüne mitgestalten können, wenn sie an der Regierung beteiligt sind.

Uns als GAL sollte dabei leiten, dass die Veränderungen, die das Internet als Publikations- und Kommunikationsinfrastruktur mit sich bringt, historisch nur mit den Veränderungen durch die Erfindung und Durchsetzung des Druckens mit beweglichen Buchstaben vergleichbar sind. Das heißt auch, dass die herkömmlichen Versuche, mit den Ordnungsinstrumenten der Medienpolitik auf das Internet zu reagieren, fehl gehen. Das Internet ist kein Raum, der der Gestaltung durch die Politik bedarf oder in dem eine solche Gestaltung auch nur möglich wäre, die über die Anwendung bestehender und zu verfeinernder Regeln für das übrige Leben hinausginge. Im Gegenteil: Jeder falsch verstandene Versuch, gestaltend einzugreifen, führt bereits heute dazu, die Gesellschaften, die diese Versuche unternehmen, von der Entwicklung und auch den emanzipatorischen Chancen abzukoppeln.

Aber fünf konkrete Felder der Netzpolitik betreffen auch das gestaltende Handeln in Hamburg:

(1) Netzneutralität
Wenn Internet eine Infrastruktur ist, woran in der Praxis kein Zweifel bestehen kann, ist es Aufgabe staatlichen Handelns, für Fairness und Regeln zu sorgen, wenn die Akteure und Netzbetreiber die Fairness verletzen. Genau dies aber kündigen europaweit und auch in Deutschland zurzeit einige Telekommunikationsunternehmen an. Grüne Netzpolitik sollte sich deshalb für eine Verankerung der Netzneutralität einsetzen, also dafür, dass die Zugangsanbieter Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleichberechtigt übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben.

(2) Zensurinfrastruktur
In den Debatten um Kinderpornographie und andere Verbrechen hat die Politik, getrieben vom Bundeskriminalamt, versucht, Voraussetzungen zu schaffen, Inhalte sperren zu können, sie also für Nutzer aus Deutschland nicht anzeigen zu lassen. Dieses schafft de facto eine Infrastruktur, die Zensur technisch ermöglicht und auch ausüben will. Zensur aber kann und darf niemals die Antwort des Staates und seiner Exekutive auf Probleme und Verbrechen sein. Grüne Überzeugung ist, dass auch im Internet die Gesetze und Regeln gelten, die beispielsweise Kinderpornographie verbieten und Urheberrechte gewährleisten. Grüne plädieren deshalb dafür, diese Regeln und Gesetze anzuwenden, anstatt Zensurinfrastrukturen aufzubauen. Jede Maßnahme, die Zensur möglich macht, wird von Grünen abgelehnt. Das sollte kompromisslos gelten.

(3) Jugendschutz und Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV)
Da der verhandelte JMStV gescheitert ist, weil NRW ihn nicht ratifiziert hat, wird er im kommenden Jahr neu verhandelt werden müssen. Grüne Netzpolitik sollte sich darauf vorbereiten und Grüne sollten dort, wo sie in Regierungsverantwortung sind (oder anstreben wie in Hamburg), darauf bestehen, direkt an den Verhandlungen beteiligt zu werden. Fachleute und so genannte “Netzbewohner” (also erfahrene Internetnutzer) sollten beim neuen Anlauf von Anfang an involviert werden. Die GAL sollte nur dann einen neuen JMStV mittragen, wenn er Maßnahmen des Jugendschutzes enthält, die das Internet als nicht-lineare Distributionsform von Medien ernst nimmt. Bei der nun anstehenden Neuverhandlung des Vertrags zwischen den Bundesländern sollte sich die GAL in einen Dialog mit den Hamburger Bürgern, Netzbewohnern und Medienschaffenden begeben, bevor sie eine Position einnimmt. Dabei sollte eines für grüne Netz- und Medienpolitik klar sein: Nur wenn Jugendschutz als medienpädagogische und gesellschaftliche Aufgabe definiert wird, anstatt durch Zugangsbeschränkungen die Informationsfreiheit zu gefährden, sollten Grüne einem JMStV zustimmen.

(4) Netzpädagogik
Wenn heute 100% der Jugendlichen online sind und rund 80% von ihnen soziale Netzwerke wie Facebook nutzen (ARD/ZDF Onlinestudie 2010), dann ist die Frage der kompetenten und selbstverantworteten Internetnutzung eine Schlüsselfrage für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Grüne Netzpolitik sollte anstelle objektiv untauglicher Regelungsversuche, die sich an anderen Distributionsformen von Kommunikation und Medien orientieren, in netzpädagogische Angebote investieren. Gerade intergenerationelle und mehrsprachige Angebote werden dabei eine Schlüsselrolle spielen. Da diese weit über den Kompetenz- und Kenntnisbereich klassischer Träger medienpädagogischer Angebote hinausgehen, sollte sich die Förderung an der grünen Tradition dezentraler, von unten wachsender und partizipativer Initiativen orientieren.

(5) Transparenz und Demokratie 2.0
Während für die Politik nur wenig Gestaltungsbedarf für das Internet besteht, schafft es andersherum weitere Möglichkeiten der demokratischen Partizipation, Transparenz und Kontrolle. Der prinzipiell unendliche und gut durchsuchbare Speicher, die permanente Präsenz von Bild- und Tonaufnahmen, die online veröffentlicht werden, und die niedrigschwellige Möglichkeit für Menschen, sich zu vernetzen und gegenseitig zu informieren, machen das Internet zur Triebfeder einer weiteren Öffnung der Verwaltung, Politik und Gesellschaft. Grüne Netzpolitik sollte diese Chancen betonen und befördern. Beteiligungsprozesse und Informationspflichten können einfacher realisiert werden.

Ein Bild für den Winter

Ich bin ja nun wirklich kein guter Fotografierer. Mein flickr-Account gibt davon beredt Auskunft. Umso glücklicher bin ich, wenn mir mal ein gutes Foto gelingt. So wie dieses hier gestern in Neustadt an der Ostsee. Aber unser Hund ist ja auch echt fotogen, oder?

Eisbär

Zumal es zurzeit wunderschön ist an der Ostsee. Wenn man denn hin und wieder zurück kommt.

Eisbuhne, Neustadt

16.12.10

1978/1979 als die Schule ausfiel

Da hat Twitter mal versagt - wahrscheinlich, weil zu wenige in meiner Twitterumgebung schon um 7:20 Uhr ihre Kinder losschicken. Ich mein, wer rechnet auch schon mit Schulausfall, wenn mal eben 20cm Schnee angesagt sind. Jetzt (um 10 Uhr) ist es durchaus etwas gewagt, sich zu mokieren, denn wer weiß, was noch kommt. Aber wer wie ich schon ein so hohes Alter erreicht hat, dass er sich tatsächlich an 1978/79 erinnern kann, wird wohl nur müde lächeln, wenn der Verkehr für 10 min zusammenzubrechen droht wie am letzten Montag. Kinners, kommt mal runter!
(sorry, für die zweimal Peter Harry im folgenden Film, trotzdem ein guter Eindruck dessen, was da passiert ist)



Ich erinnere mich noch gut an die Tage damals. Wie wir uns durch die Schneewehen, die teilweise auch bei uns in Bramfeld drei, vier Meter hoch waren, zur Schule gekämpft haben. Was wir für einen Spaß hatten (dass es für die Menschen auf dem Land nicht spaßig war, habe ich erst später erfahren, mit neun Jahren hatte ich da noch nicht so ganz den Überblick). Was habe ich mich geärgert, als dann ein paar Tage tatsächlich die Schule ausfiel.



Ich war damals in der dritten Klasse, so wie Tertius heute. Der auch seinen Spaß hat.

Aber das damals, das war wirklich eine Katastrophe. Und nicht so ein Pipifax, dessentwegen sich die Supermamis in unseren Speckgürteln gerade in die Hose machen. Echt jetzt mal.

13.12.10

Das ist echt zum aktiv werden

Ich gehöre zu den (bisher) offline nicht übermäßig aktiven Mitgliedern bei den Grünen. Online bin ich dabei, rund um die Schulreform war ich aktiv, aber Aktivitäten in der Kohlenstoffwelt waren nach Job und Familie nur auf Position drei der Prioritätenliste, also faktisch eine Posteriorität. Das geht so aber nun nicht mehr.

Ich habe mich sehr geärgert, wie für die anstehenden Neuwahlen eine Spitzenkandidatin ausgerufen wurde: Da inthronisiert die bisherige Spitzenkandidatin (Christa Götsch) mal eben nebenbei vor der TV-Kamera ihre Nachfolgerin (Anja Hajduk). Die erklärt zwar nicht ihre Kandidatur um die Spitzenkandidatur, wohl aber auf einem Mitgliederabend ihre Bereitschaft, Spitzenkandidatin zu sein. Dann lädt der Landesvorstand zu einer Mitgliederversammlung für heute Abend ein, schlägt dabei vor, eine Spitzenkandidatur zu nominieren - sagt aber nicht, ob es dafür schon Vorschläge oder Bewerbungen gibt.

Nachdem ich dann im Onlineforum der Hamburger Grünen mehrfach nachgefragt und auch kritisch angemerkt habe, dass da irgendwas merkwürdig läuft (und von anderen der hinreißende Vergleich mit Nordkorea fiel), ist mein Geduldsfaden nun gerissen. Ich habe den Antrag gestellt, heute auf der Mitgliederversammlung NICHT über die Nominierung der Spitzenkandidatur zu sprechen.

Begründung:
Es liegt bisher keine offizielle Kandidatur vor, von der die Mitglieder wüssten. Es gibt die in der Presse und (offenbar) auf dem Mitgliederabend bekundete Bereitschaft von Anja, zu kandidieren, aber mehr nicht.
Da das Wahlprogramm noch nicht steht und auch noch nicht in Ansätzen die Route festliegt, können die Mitglieder noch nicht beurteilen, ob beispielsweise Anja die dafür beste Kandidatin wäre.

Ich persönlich bezweifele ohnehin, dass es gut ist, mit einer Senatorin als Spitze in den Wahlkampf zu gehen, die für die öffentliche Wahrnehmung für das Winterchaos, die (gescheiterte) Stadtbahn und Moorburg steht. Zwar hat sie auch einiges bewegt, aber das kennen nur Insider oder Profis. Und wie sie, die eine super Finanzsenatorin wäre, glaubhaft das Konzept "Kreative Stadt", für das wir an sich immer noch stehen, nach vorne stellen sollte, sehe ich noch weniger.

Jetzt werbe ich zunächst um Unterstützung für meinen Antrag zur Tagesordnung. Und wenn ich dafür keine Mehrheit finde, muss ich mal weiter sehen. Gibt ja noch mehr Möglichkeiten, aktiv zu werden und meinen Beitrag zu leisten, dass wir einen Neustart und eine Alternative haben. :)

6.12.10

Zu WikiLeaks: Freiheit? Terror? Oder Transparenz?

Ich habe mir zu vielen Aspekten noch keine abschließende Meinung gebildet. Ich bin mir sogar sicher, dass sich meine Meinung oder Haltung zu diesem Thema weiter verändern wird. Das hier sind dann eher die ersten Pflöcke, an denen ich die Schnüre aufziehen will, die die Leitplanken bilden könnten, an denen ich das Thema weiter erkunden will. Klingt sperrig? Ja, ist es auch. Denn weder will ich Verschwörungen wittern, wo die Wirklichkeit brutal genug ist, noch liebe ich Aktionismus, der nicht auf Fakten beruht. Nun denn...
Update 7.12., 9:30 Uhr
Mit leicht anderem Fokus aber ziemlich genau den gleichen Fragen und sogar ersten Antworten hat Clay Shirky, den ich für sein klares Denken ohnehin sehr schätze, vor ein paar Stunden über Wikileaks geschrieben. Lest das!

Update 8.12., 13:00 Uhr
Sehr itneressant auch diese Analyse in der Süddeutschen, warum das, was da rund um WikiLeaks passiert mindestens naiv-romantisch, ich würde sogar sagen: reaktionär ist.
WikiLeaks ist eine gute Idee. Einen Ort zu haben (auch wenn er kein Ort ist, was übrigens Amazon doppelt merkwürdig dastehen lässt), an dem Menschen geheime Dokumente recht gefahrlos (also zumindest recht gefahrlos für sich selbst) veröffentlichen können, ist gut. Im US-Kontext gibt es die Tradition des whistleblowing, die Leute, die das machen, wenn es drauf ankommt, sind Helden - anders als hier bei uns, wo sich beispielsweise Arbeitnehmer immer noch ernsthaft strafbar machen, wenn sie das tun. Die Enron-Aufdeckung wäre hier nicht möglich gewesen, aber das nur mal am Rande.

Einerseits.

Andererseits lebt Kommunikation auch davon, dass es die Unterscheidung von öffentlich und privat gibt. Und dass nicht jemand anders entscheidet, dass eine Kommunikation, die ich leiste, öffentlich ist.

Gerade wenn Skandale weiterhin aufgedeckt werden sollen, wenn Wikileaks eine wichtige und Transparenz fördernde Einrichtung sein oder bleiben soll, darf, denke ich, die Grenze dessen, das jemand aus der privaten Kommunikation in die öffentliche bringt, nicht so überdehnt werden, wie es jetzt, so habe ich den Eindruck, geschieht.

"Transparenz" oder "Freiheit" ohne Rücksicht auf Verluste - das wäre in der Tat Terror. So wie die Inquisition und die stalinistischen Schauprozesse Terror waren. Und bevor jemand über diesen Vergleich aufheult: Die Inquisition wurde gestartet, um Seelen zu retten, also recht eigentlich aus Menschenfreundlichkeit (auch wenn das quasi sofort pervertiert wurde). Die Schauprozesse wurden gestartet, um der Wahrheit Wege zu bahnen, um ein Gegenmodell der instransparenten Geheim"justiz" zu haben (auch wenn die unmittelbar in echten Terror mündeten).

Ich habe irgendwo gelesen, dass in den Cables, um die es aktuell geht, Namen von Menschenrechtsaktivisten in Terrorländern stünden. Wenn das so ist, dann wäre es fahrlässig und nach meiner Auffassung Terror, was da passiert ist. Denn Freiheit wird immer durch die Freiheit der anderen begrenzt. Freiheit, die sich nicht um die anderen schert, ist Terror. (Und ich benutze dieses Wort, obwohl es in grotesker Weise von Regierungen genutzt wird.)

Dennoch wird gerade aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Interessant ist doch, wer bisher "zu Schaden" gekommen ist durch die Cables. Allein mit dem deutschen Beispiel wird ja doch deutlich, wie lächerlich die Kritik ist und wie sehr es die richtigen trifft.

"Wikileaks is like Pirate Bay; something that I don't like but have to defend because of the collateral damage caused by attacking it." (Simon Phipps auf Twitter)

Das trifft es recht gut. Das Argument von Amazon ist lächerlich, siehe den Link oben zu Dave Winer, wenn sie das meinen, was sie als Pressestatement sagen. Zugleich und jenseits aller Aufgeregtheit zeigt das, was gerade mit Wikileaks passiert aber auch, wie wenig die alten monolithischen Strukturen "das Web" aufhalten können.

Insofern ist alles das, was ich gerade beobachte, ermutigend. Sowohl dass die Frage diskutiert wird (und jenseits des Boulevards, ob nun der Regierungen, der Massenmedien oder der Netzaktivisten), wo die Balance zwischen verantwortlicher Freiheit und freiheitlichem Terror zu finden ist, als auch die langsam sich setzende Erkenntnis, dass "das Web" nicht einzufangen ist, machen mich froh.

Es geht nicht um die "Freiheit des Netzes", wie es manche jetzt hochstilisieren. Die Schlacht ist - zumindest für die digitale Elite, die allein sich für diese Frage interessiert - entschieden. Es geht darum, ob die Freiheit zu Demokratie oder zu Terror führt (und WikiLeaks kann zu beidem beitragen).

Wer WikiLeaks als Plattform kritisiert, hat imho gar nichts, aber wirklich gar nichts begriffen. Wer es als Instrument der Demokratie bejubelt, hat ebenso wenig begriffen. WikiLeaks ist eine geniale Idee und ein gut funktionierendes System, das in Zeiten, in denen (nicht nur in den USA) die recherchierende und freie Presse in der Krise ist und nicht mehr so funktioniert, wie sie sollte, einen anderen Ort schafft, an den sich Informanten wenden können. Der nicht zensierbar ist, der nicht abgeschaltet werden kann (weil er auf verteilten Servern, Torrents, beruht, den niemand völlig kontrollieren kann). Was sich mit diesen Informationen (und mehr ist es zunächst nicht) machen lässt, werden wir sehen. Transparenz, daran sei noch einmal erinnert, ist auch kein Wert an sich. Beispielsweise kann viel Transparenz zu einer so hohen Komplexität führen, dass sie faktisch zu einem Herrschaftsinstrument wird - weil die Beherrschten den Eindruck gewinnen, der Komplexität nicht gewachsen zu sein (übrigens eine Situation, in der wir uns imho in vielen Bereichen zurzeit befinden, und die ich als totalitär bezeichne).

Meine These (noch einmal) ist: WikiLeaks und die Informationen da sind weder gut noch böse, weder ein Instrument der Freiheit noch des Terrors. Können aber, ebenso wie Transparenz, alles dieses werden, je nachdem was jemand damit macht.

2.12.10

Lost in Bureaucracy

Ich will nur eine Verpflichtungserklärung abgeben. Eine Freundin von uns, die einmal unser Au Pair war, studiert hier, hat ein gültiges Visum und so weiter. Die Geschichte ist nicht kompliziert, gehört aber nicht hier her.

Kompliziert dagegen ist es offenbar, die Auskunft zu erhalten, wie ich diese (kostenpflichtige) Erklärung abgeben kann, dass der Staat sich gegebenenfalls bei mir Kosten zurück holen kann, die ihm durch die junge Frau, nennen wir sie A., entstehen könnten.

Zuerst hat A. in der Ausländerbehörde nachgefragt, die im Bezirk, in dem sie wohnt, zuständig ist. Die haben sie offenbar nicht zu Ende ausreden lassen, sondern ihr die (natürlich falsche) Auskunft gegeben, ich solle zum Einwohneramt kommen, das für A. zuständig ist, da eine Unterschrift leisten - und fertig.

Nach eine halben Stunde Wartezeit guckt mich der nette Herr am Schalter verwirrt an. (Die gute Nachricht, zumindest die letzten Jahre über, ist, dass die Mitarbeiter in den Hamburger Einwohnerkundenzentren echt freundlich und nett sind.) Ich müsse zu dem Kundenzentrum gehen, in dessen Bereich ich wohne. Nein, wieso das jemand anders gesagt habe, wisse er nicht. Und nein, anders als jede normale Angelegenheit wie einen Reisepass zu beantragen oder so könne ich das nur in dem für mich nahezu nicht sinnvoll zu erreichenden Amt in Rahlstedt tun.

Vorsichtshalber rufe ich im Bezirksamt Wandsbek an, das dem Kundenzentrum Rahlstedt vorgesetzt ist, ob das so stimmt. Ja, das stimme, sagt man mir, ich brauche nur drei Gehaltsbescheinigungen mitnehmen und alles ginge wunderbar und einfach. Donnerstag sei es oft sehr voll. Danke für die Anfrage.

Ich also nach Rahlstedt. Immerhin ohne Wartezeit guckt mich der nette Herr am Schalter verwirrt an. Nein, da A. schon in Deutschland sei und ein bereits bestehendes Visum habe, könne er die Verpflichtungserklärung nicht ausstellen (oder annehmen oder was weiß ich wie das heißt). Das ginge nur, wenn sie noch im Ausland sei. Keine Ahnung, warum man uns das nicht gesagt habe. Das, was ich will, bekommt man nur im Bezirksamt Wandsbek (also da, wo ich angerufen hatte), unten im Erdgeschoss, bei den Ausländerangelegenheiten, nein, so weit er wisse, vergeben die keine Termine. Ich beginne zu ahnen, wie der Hase riecht und will das Pferd endgültig vom Eis bringen. Also, ich bin ja schlau, frage ich ihn noch einmal, ob es denn stimme, dass ich nur drei Gehaltsbescheinigungen brauche und sonst nix. Kommt mir latent komisch und allzu unbürokratisch vor. Trotz der 25 EUR Gebühr. Aber ja, das sei so.

Wandsbek ist für mich ganz praktisch, da kann ich auf dem Weg zur Arbeit aussteigen. Da in der Ausländerabteilung war ich schon. Als Deutscher wird man halbwegs normal behandelt, man will ja quasi nichts von denen. Darum sind wir mit unseren Au Pairs meistens mit hin gegangen, ist besser so, dann sind die da nett zu denen.

Ich also ins Wandsbeker Schloss. Mit mittlerer Wartezeit vor dem Zimmer, in dem man seine Wartenummer beantragen und bekommen kann (ja, so ist das da). Die nicht so nette Frau am Schalter guckt mich verwirrt an, als ich sage, ich habe das Formular, nach dem sie fragt, noch nicht ausgefüllt. Und außerdem brauche ich eine detailierte Aufstellung unserer laufenden Kosten, alle mit Nachweis, und einen Mietvertrag. Ach, Eigentum, oh, kompliziert, aber blablabla. Könne sie doch nichts für, dass man mir eine falsche Auskunft gegeben habe.



Kinners, das deutsche Ausländerrecht ist an sich schon mal grotesk, menschenunwürdig und falsch auf der ganzen Linie. Aber die fünf Stunden, die ich nun damit verbracht habe, zwischen Kümmelstraße, Amtsweg und Wandsbeker Schloss zu pendeln, fände ich selbst dann absurd, wenn die Bürokratie das Ziel verfolgen würde, zu verhindern, dass eine gut integrierte angehende Studentin hier bleiben darf. Vielleicht sollte ich A. doch raten, sich schnell einen Freund zu suchen und zu heiraten. Denn ihre geschiedene Freundin, mit der sie zusammen zur Schule gegangen ist am anderen Ende der Welt, hat diesen Ärger jetzt nicht mehr. Und sie ist ja nicht mehr katholisch.