28.5.10

Ich bin heute bedroht worden. Oder: Wer Geistes Kind die Contras der Schulreform sind

Ich finde es zunehmend interessant und beängstigend. Entweder die Gegner der Schulreform in Hamburg sind verzweifelt - oder sie sind wirklich sehr aggressiv. Damals im Herbst bin ich ja schon einmal von zwei Unterschriftensammlerinnen auf dem Isemarkt körperlich bedroht worden. Und nur durch Flucht konnte ich verhindern, dass sie mich verprügeln. Und jetzt schickt eine der treibenden Kräfte im Elternrat einer der Schulen, auf die meine Kinder gehen, aus Versehen die E-Mail an mich, die sie ihrem Mitstreiter schreiben wollte:
Hallo M.,

Herr Haltungsturner hat geantwortet.
Ich habe dem Herrn lediglich freundlich zurück geschrieben, dass ich die Mail erhalten habe und dass ich sie weiterleiten werde. Ich glaube, der hat da was gründlich missverstanden. Daher werden wir ihm sicherlich antworten müssen.
Aber der ist ideologisch so verbohrt, dass ihm nicht zu helfen ist. Aber eigentlich auch nicht schlecht, da ist sein Gemüt etwas beruhigter und wir können richtig in die Vollen gehen. Der wird sich noch wundern. Alles sehr interessant.
Schönen Abend noch
LG A.
Ich habe die Namen rausgenommen, werde sie erst öffentlich machen, falls sie ihren Drohungen Taten folgen lassen sollte.

Vorausgegangen war ein Schreiben des Elternrates einer der Schulen, die am meisten von der Reform profitieren (weil sie dadurch gerettet wird), indem die Eltern vehement auffordern, gegen die Schulreform zu stimmen. Dabei, übrigens über die Klassenlehrerinnen an alle Eltern verteilt, das Propagandapapier von WWL ("Wir wollen lernen"), von dem der Elternrat schreibt, er habe mal zusammengestellt, wie die Eltern von der Behörde und den Unterstützern der Schulreform desinformiert würden.

Dagegen hatte ich protestiert, zugleich aber angeboten, dass ich für eine Diskussion in der Schule über die Schulreform zur Verfügung stehe. Die Reaktion ist sehr interessant, oder? Erinnert sehr an die "fiesen" Mitschnitte von Panorama damals, als sich wild gewordene Nienstedtener Mütter um Kopf und Kragen redeten. Meine eigene Position ist, dass Elternräte sich neutral verhalten sollten. Ich habe in "meinem" genau dafür plädiert, obwohl ich die Schulreform unterstütze. Interessanterweise hat übrigens die aggresssive Art, in der wir von M. aufgefordert wurden, uns der Ablehnung anzuschließen, dazu geführt, dass unser Elternrat neutral wurde, sogar die Schulreformgegner fanden das offenbar nicht wirklich gut. Naja.

Ich finde es schade, dass sich Eltern in den Schulkrieg reinziehen lassen, anstatt sich sachlich und inhaltlich zu beteiligen. Die scheinbare Sachlichkeit, die aus dem Tonfall des ursprünglichen Briefes sprach, wird durch die nicht für mich gedachte Mail ja sehr gut entlarvt.

Ich bin gespannt. Das, was die Frau B. in der Mail an Herrn V. (den ich kenne und sehr mag) schreibt, ist - so empfinde ich es - eine handfeste Drohung. Und ich mache sie hier öffentlich, vor allem, um mich und meine Familie zu schützen. Denn in den letzten Monaten ist es allzu oft passiert, dass Unterstützer der Schulreform massiv bedroht und eingeschüchtert wurden. Meine Süße und meine vier Kinder dieser Gefahr auszusetzen, hatte ich nicht gedacht - und auch nicht damit gerechnet, weil ich dachte, dass auch andere und nicht nur V. in diesem Elternrat zivilisiert sind.

Ich habe aus dem Elternrat heraus durchaus inzwischen gehört, dass einige dort ein sehr - hmm - anstrengendes Sozialverhalten haben, das hat mich erschreckt. Und ich hoffe, dass mich das Veröffentlichen dieser Drohnung schützt.

18.5.10

Vom Unsinn der profetischen Haltung, der Berg möge sich bitte bewegen

Grundsätzlich habe ich für Profeten* etwas übrig. Kassandra von Christa Wolf ist und bleibt eines meiner Lieblingsbücher. Profeten haben ihren Sinn, auch historisch, in Krisensituationen. Sie sind vielleicht so etwas wie das alarmistische Gegenstück zum Hofnarr. Und damit sind wir beim Problem.

Profeten rufen zur Umkehr. Profeten sehen die Bedrohung. Profeten scheitern fast immer am System. Lest mal die Bibel, sehr interessant das.

Was Profeten nicht sind (und damit ähnlich den Hofnarren), sind Ratgeber. Sie haben einfach eine andere Funktion. Mal platt gesagt können Profeten auch keine Ratgeber sein, denn Ratgeber helfen den Herrschenden, Möglichkeiten in Handlungsoptionen zu übersetzen - und wenn sie Implementierer sind, dann Operationalisieren sie diese Optionen auch und handeln. Profeten sehen keine Handlungsmöglichkeiten jenseits des Umsturzes.

Beides hat seinen Sinn und seine Zeit. Etwas holzschnittartig ist es die Frage nach Revolution oder Evolution. Und während Ratgeber fragen, wie die Herrschenden unter sich verändernden Rahmenbedingungen mit möglichst überschaubaren Änderungen ihre Ziele weiterhin erreichen können (Hallo ROI), weisen Profeten darauf hin, dass eben diese Herrschenden nicht überleben werden, da die Veränderungen so radikal sind, dass ihre Zeit vorbei ist. Profeten sprechen grundsätzlich, ihnen ist das System weitgehend egal. Ratgeber analysieren das System und suchen nach Wegen.

Oder konkret: Mirko Lange schrieb heute früh (und auch, wenn 140 Zeichen etwas sehr zum Verkürzen neigen, zeigt es doch, was ich meine)
Ich plädiere für die grundsätzliche Kommentierbarkeit von allem (!) Content im Web. Das ist einer der Unterschiede von 1.0 und 2.0. (Lange auf Twitter)
Mich stört zunehmend die Grundsätzlichkeit. Jetzt nicht allein in diesem Fall oder festgemacht an diesem Autor. Sondern grundsätzlich (haha). Denn während so ein Satz wie da oben prinzipisch richtig ist, hat er doch mit der Beratungswirklichkeit nichts zu tun.

Es ist Quark, denke ich, dass alles und jedes im Web kommentierbar sein muss, abgsehen davon, dass ich hier in meinem Blog alles und jedes kommentieren kann und damit prinzipisch alles und jedes mittelbar kommentierbar ist. Tja.

Aber wieso bitteschön soll "grundsätzlich" aller (!) Content kommentierbar sein? Was soll der Sinn dahinter sein? Dass ich deutlich zeige, wie unwichtig ich bin, weil nie jemand kommentiert (beispielsweise bei Newsrooms)? Oder dass ich meinen Gegnern eine Plattform gebe, den Ort vollzuspammen, an dem ich einmal in Ruhe und ohne die Hektik einer Diskussion meine Position ausbreiten will (beispielsweise bei politischen Kampagnenseiten)?

Diskussionen und Kommentare sind wichtig. Und oft plädiere ich beispielsweise auch dafür, einen Ort im eigenen "Grundbesitz" zu schaffen, an dem kommentiert werden kann, weil es nach allen Erfahrungen Kritik zivilisiert und wertvoll ist, das auf einer eigenen Plattform zu haben. Aber deshalb müssen noch lange nicht ALLE Orte Kommentare zulassen oder ermöglichen. Ein strategisches und nicht einfach nur profetisches Herangehen an das Thema wird immer fragen, welche Funktion innerhalb des Gesamtziels und der Gesamtstrategie ein Ort hat. Und, Wunder über Wunder, es gibt Funktionen, die nicht das Gespräch sind.

Zugespitzt ist die Aussage oben eben gerade die eines Profeten. Nicht falsch, wahrscheinlich sogar wahr, aber unbrauchbar. Ein Ratgeber wird einen Weg suchen, wie in einer Arena, in der jeder seine Meinung hörbar machen kann, so zu agieren ist, dass die Ziele, die ich habe, erreicht werden können. Denn sonst...
(aber das habe ich ja neulich unter dem Stichwort Hybris schon mal beschrieben, auch wenn es schrecklich selbstreferenziell ist, mich selbst zu verlinken.)


Und Bernhard, ich lasse die Kommentare offen - denn, qed, prinzipisch und grundsätzlich stimmt es ja. Oder so.

* Dass ich Profeten mit f schreibe, ist eine lebenslängliche Hommage an den großen Alttestamentler Klaus Koch, der der Meinung ist, dass ein einzelner Buchstabe im griechischen und hebräischen nicht mit zwei Buchstaben im deutschen transkribiert werden sollte. Als er emeritiert wurde, titelte unsere Fachschaftszeitung: "Er wird eine schwer zu phüllende Lücke hinterlassen"...

6.5.10

Ich bin mir nicht sicher

Ganz ehrlich: Mein erster Reflex war auch, dass das ja nicht sein dürfe, dass ein Berufsverbot aufgrund des Musikgeschmacks verboten gehört. Dass die Empörung, die leise durch mein Onlineumfeld grollt, berechtigt ist. Es wird immer dieser Beitrag der "Welt" verlinkt und kommentiert:
Zu viel Gewalt & Porno: Death-Metal-Sänger darf nicht mehr unterrichten
Thomas Gurrath war Referendar im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Weil er mit seiner Death-Metal-Band Debauchery über Gewalt singt und pornografische Videos dreht, darf er nicht mehr unterrichten.
Und so weiter, lest es euch selbst durch. Ich kann mir zum konkreten Fall kein wirkliches Bild machen. Aber es bringt mich zum Nachdenken. Denn neben dem "liberalen" Reflex, dass den Staat als Arbeitgeber genau dieses nichts angehe, war sofort die Frage da, ob ich will, dass "so einer" meine Kinder unterrichtet. Nicht falsch verstehen: Meine Kinder haben genug schlechte Lehrer, die voll und genau dem bevorzugten Schema entsprechen, wie Lehrerinnen sein sollen in diesem Land. Und einer der drei wirklich guten Lehrer, die ich in der Schule hatte, war einer, der einen anderen Beruf gelernt hatte und ein abstruses Hobby pflegte. Mir geht es auch nicht um die (wie ich finde: in ihrere Revoluzzerattitüde sehr, sehr spießige) Musik. Oder die Texte. Und schon gar nicht um den im Welt-Artikel geschilderten auslösenden Vorfall, wenn er denn stimmt (Diskussion um Videospiele als Massenmordauslöser - da klingt es im Artikel so, als ob Gurrath sich so verhalten hat, wie ich es mir wünschen würde: offen und die Kinder zu Diskussionen ermutigend).

Aber bei Pornografie und bei Gewalt (auch in der spießigen Kunst) hört für mich der Spaß auf. Oder wie meine Süße sagen würde: Toleranz endet mit z. Ja, ich kenne aus dem Familienumfeld die Spießer, die sich für Punker halten, die Metaler, die das alles für einen Spaß halten, und so weiter. Und ja, manche davon sind liebe, nette, große Kerle, die vielleicht die Schule vernachlässigen, aber gute Krankenpfleger oder Gastronomen werden. Es sind also nicht die Vorurteile, die mir im Weg stehen, hier vom "Schweinestaat" zu murmeln, der Geschmack über berufliche Zukunft entscheiden lasse.

Es gibt eine Grenze. Das fängt imho bei Hasch an (und jeder, der sich auch nur ein winziges Bisschen mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass das Problem nicht die Illegalität ist oder das Thema Drogen, sondern dass sich der Wirkstoff im Fett einlagert und in Stresssituationen freigesetzt wird, so dass in eben diesen Situationen auch ein Rausch entsteht, wenn jemand seit Jahren nichts mehr geraucht hat, anders als bei Alkohol, der abtransportiert wird), und endet sicher nicht bei Pornografie. Insofern kommt mir die im Artikel beschriebene Lösung gar nicht so absurd vor: Es wird offenbar ja gerade keine "nieundnimmer"-Position aufgebaut, sondern schon gesehen, dass sich Menschen ändern können.

Schulen sind in diesem Land weltanschauungsneutral, aber nicht werteneutral. Die Werte kann ich in Frage stellen. Ich kann mein Kind ja auch beispielsweise in eine Waldorfschule stecken, die ganz andere Werte hat als die Gesellschaft.

Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube, ich finde es gut, dass er nicht Lehrer wird erstmal.