30.11.09

Demut und Dankbarkeit

Wenn nacheinander die Hälfte der Familie krank ist, wenn die Arbeit viel ist, das Haus und alles, dann fühlt es sich manchmal an wie Stress, dann ist es manchmal auch mühsam. Und dann kommt das Danken oft zu kurz. Denn bei allem Trubel darf ich, dürfen wir nicht vergessen, wie gut es uns geht.

Dann erschrecke ich wieder, wie es dieses Jammern auf hohem Niveau geben kann, wie uns das passieren kann. Für das kranke Kind, das seit Wochen hustet und nicht zur Schule kann, ist es schrecklich, ja. Aber es hat zwei Eltern und drei Geschwister, die da sind und da bleiben.

Im direkten Umfeld kämpft eine Frau, Mutter von zwei kleinen Kindern, Ehefrau, Schwiegertochter, mit dem Tod. So geht es seit Jahren und nun hat sie keine Chance mehr: Der gesamte Körper ist unter der Chemo- und Strahlentherapie von Krebszellen zersetzt worden, es geht nicht mehr, sie hangelt sich von Tag zu Tag und hofft für ihre Kinder auf Weihnachten, will das noch unbedingt erleben.

Das Leid, wenn man in ihre Augen und die Augen ihrer Familie guckt, ist unbeschreiblich. Der jahrelange Kampf so grausam und am Ende so vergeblich. Die Verzweiflung der Kinder, die ihre Mutter kaum noch erkennen und Angst vor ihr haben, weil sie so anders aussieht und das Bett kaum noch verlassen kann. Die Stärke der Mannes, der das, was möglich ist, an Leben aufrecht erhält. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass er sein Leben lang getrunken und geraucht hat und sie sterben muss.

Wenn er erzählt, wie sie den Alltag oder was davon übrig ist, zu meistern versuchen, wie sie immer wieder auch einmal Kraft und Ruhe finden, und sei es für ein paar Minuten, dann beschämt mich mein Jammern, wen es zu Hause mal wieder zu wild, zu laut, zu chaotisch ist. Dann rückt das die Perspektive zurecht. Dann lehrt mich das Demut und Dankbarkeit.

Beides kann ich nicht so gut im Alltag, weil ich unruhig bleibe und immer mehr und mehr will. Und beides ist trotzdem wichtig.

Ich habe nach dem Schock, dass es ihr wieder und immer schlechter geht, im Gottesdienst gesessen und gebetet. Und war dankbar, ja wirklich. Und werde mich in Demut üben.

6 Kommentare:

  1. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich so "unangemeldet" hier hereinplatze (bisher sporadisch still mitlesend) - und ich hoffe, Sie nehmen meinen Kommentar nicht als Provokation, denn er kommt aus echtem Interesse. Auch ich bin ja christlich sozialisiert, und auch ich habe in meinem Umkreis zweimal Vergleichbares erlebt - jedesmal Gründe dafür, mich vom Glauben an eine gerechte oder auch nur einigermaßen sinngeleitete höhere Instanz zu entfernen. Ich kenne auch den Effekt, dass man das eigene Leben und seine Probleme dann für eine Weile wieder etwas besser im eigentlichen Maßstab sieht. Darüber hinaus aber wäre/war statt Demut und Dankbarkeit meine Reaktion eher Wut und Verzweiflung - für mich die gesündere Reaktion. Womit ich keineswegs die Ihre irgendwie in Frage stellen möchte - es ist zweifellos für Sie die folgerichtige. Ich finde es immer interessant und zugleich rätselhaft, wie unterschiedlich man auf ähnliche Erfahrungen reagieren kann.

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  2. Anonym3.12.09

    Das ist herzzerreißend. Ich bete mit.

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  3. Ivar, nein, das empfinde ich gar nicht als Provokation, im Gegenteil - und tatsächlich ist es auch für mich so, dass unermessliches Leid die Frage nach Gott radikalisiert.
    Vielleicht liegt es daran, dass ich - auch schon vor meinem Theologiestudium - eine Beziehung zu Gott habe, die ihn nicht als Allbeschützer oder Kleinkindererschrecktyp sieht.

    Noch mehr aber, dass ich in der Familie, in der das Leid gerade passiert, eben dieses erlebe: Dass Beten und zur Ruhe kommen auch ihnen ehrlich hilft.

    Als Theloge nenne ich die Verzweiflung, die aus der Ohnmacht und Unerklärbarkeit spricht, die "Theodize-Frage", die Frage, wie das Leid in die Welt kommt, wenn denn Gott allmächtig und gut ist. Und ich weiß, auch wenn mich das immer wieder vor die Frage stellt, wie das sein kann, dass es darauf keine abschließende Antwort gibt.

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  4. Ja, genau - als ich den Theodizee-Begriff gelernt habe, da wurde für mich auch manches zumindest besser verbalisierbar. Danke, dass Sie das einfach so hinschreiben können, mit dem Fehlen der eindeutigen Antwort. Vielleicht habe ich einfach immer die verkehrten Christen gekannt, die dogmatischen...

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  5. Katharina7.1.10

    So gut das sein mag, sich in Demut ind Dankbarkeit zu üben, der Familie hilft jede Unterstützung und jedes mit ihnen darüber reden viel mehr, als sich in Stille seine Gedanken zu machen. Gerade in solchen Momenten tendieren wir dazu, mitleidig von außen auf die Familie zu schauen, anstatt konkrete Hilfe zu geben und zu versuchen, so normal wie möglich mit ihnen weiter umzugehen und einfach da zu sein. Dabei bewahrt nur das davor, dass sich die Betroffenen noch einsamer und verlassener fühlen.

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  6. Liebe anonyme Katharina, dein Kommentar ist verletzend und arrogant und kennt die Familie, um die es geht, offenbar nicht. Und du unterstellst uns und anderen im Umfeld ein Verhalten, das abstrus wäre. Ich hoffe nur, du schließt nicht von dir auf andere.

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