7.11.05

Noch einmal Rilke

Ich weiß auch nicht wirklich, woran es liegt, dass Rilke bei Vielen als süßlich oder so was gilt. Mir scheint fast, dass er zu den wirklich unterschätzten Dichtern dieses Landes gehört. Dabei hat er mit dem Malte Laurids Brigge den ersten "modernen" Roman in deutscher Sprache geschrieben, ein Buch, das dazu auch noch grandios ist.
Muss ich übrigens dringend wieder lesen, vielleicht nach meiner Jane-Austen-Phase, die ich erstmal fortsetze mit Emma, das ich gestern begonnen habe....
Und auch seine Gedichte sind oft wunderbar sachlich und romantisch zugleich. Heute kam wieder einmal eines von ihm über Lyrikmail (wobei ich die Satzzeichenakkumulation am Ende des zweiten Verses im ersten Moment für einen Smiley gehalten habe. Man ist aber auch so verdorben durch die ewigen E-Mails, doo):


Selbstgeworfnes

Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles
Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn -;
erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,
den eine ewige Mitspielerin
dir zuwarf, deiner Mitte, in genau
gekonntem Schwung, in einem jener Bögen
aus Gottes großem Brücken-Bau:
erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen, -
nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar
zurückzuwerfen Kraft und Mut besäßest,
nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest
und schon geworfen hättest .....(wie das Jahr
die Vögel wirft, die Wandervogelschwärme,
die eine ältre einer jungen Wärme
hinüberschleudert über Meere -) erst
in diesem Wagnis spielst du gültig mit.
Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst
dir ihn nicht mehr. Aus deinen Händen tritt
das Meteor und rast in seine Räume...

Rainer Maria Rilke
(1875-1926)

7 Kommentare:

  1. Anonym14.11.05

    Vonnem Literaturwissenschaftler annen Theologen: Rilke war brandgefährlich. Seinen Cornet, ein übles lyrisch-todesschwangeres "Haut-den-Heiden-heldisch-eins-auf-die-Waffel-und kackt-ab-dabei-fürs-Vaterland-Aufopferungsbüchlein", hatte jeder deutsche Offizier des I. Weltkriegs im Tornister und verhielt sich auch danach.

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  2. Anonym14.11.05

    Wenn es denn auch noch literaturwissenschaftlich sein soll, dann ist das wirklich ein unglaublicher Schwachsinn, mit dem dieser "Held der Arbeit" sich hier verbreitet. Und selbst wenn es nur eine Meinung gewesen wäre, hätte ich das sehr, sehr schlicht gefunden... Aber, hey, das ist das Internet!

    Ich bin durch Zufall auf der Seite gelandet und fand das Gedicht interessant, wie ich Rilke immer interessant finde. Mir kommt es so vor, als ob er bislang noch gar nicht angemessen literaturwissenschaftlich behandelt wurde.

    Sonnettproportionen, 3 statt 2 Quartette, dann der Abgesang, eingeleitet durch die 5 Punkte, 2 Terzette und schließlich der letzte Vers losgelöst mit dem reimlosen 'Räume'... die Antithese in der Aussage solang - erst... im ersten Terzett der Vergleich, im zweiten Terzett die Synthese in einem Parallelismus... "Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst / dir ihn nicht mehr." Ja und überhaupt das 'erst', zweimal am Versanfang, dann als Reim am Ende des ersten Terzetts, eingelöst schließlich und überhöht durch die vollere Form 'erschwerst', im Enjambement akzentuiert, und eine Art von Binnenreim schwingt auch noch mit. Das Formbewußtsein ist erstaunlich.

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  3. Anonym15.11.05

    Kulturbeutel Philipp schwallt über Sonettproportionen, derweil bei Verdun an einem Tag 50.000 deutsche Soldaten verbluteten - getrieben von irren nationalistischen Vorstellungen und ihren Offizieren, die den Cornet im Tornister hatten, ein übles lyrisch-todesschwangeres Haut-den-Heiden-heldisch-eins-auf-die-Waffel-fickt-einmal-in-eurem-Leben-eine-Adelige-und-danach-kackt-ab-dabei-fürs-Vaterland-Aufopferungsbüchlein.

    Rilke war kein schlechter Schreiber. Aber brandgefährlich. Formbewusstsein hin oder her.

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  4. Ist Handke ein schlechter Dichter, weil er kein politsches Urteilsvermögen hat? Oder verschwurbelte Scheiße zu Serbien verzapft? Ist Luther kein großer Theologe, weil er eine für seine Zeit typische aber heute pervers anmutende Haltung zur Obrigkeit hatte? Ist Marx kein spannender Soziologe, weil er sein Dienstmädchen geschwängert hat und es dann Engels in die Schuhe schob?
    War Stefan George gefährlich, weil sich später nicht nur der Wandervogel, sondern auch die Nazis positiv auf ihn bezogen? Ist Goethe zu meiden, weil sich junge Männer mit dem Werther in der Hand in den Tod begeben haben? Ist Wagner allein deshalb anzulehnen, weil sich seine Erben in den Nazionalsozialismus haben einspannen lassen?

    Ich bin hinreichend durch de marxistische Schule gegangen, um zu wissen und es auch imemr noch zu teilen, dass das Leben und die Wirkungsgeschichte wichtig sind, wenn ich einen Autor usf. beurteilen will. Aber ich bin da inzwischen etwas unaufgeregter.

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  5. Anonym16.11.05

    Hast Recht, Aufgeregtheit über Rilke ist fehl am Platz. Zumal es unsere Urgroßväter geschafft haben, Nachwuchs zu zeugen, ehe sie totgeschossen wurden, damals, vor Verdun.

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  6. Anonym17.11.05

    Hab gezögert, ob ich das nochmal kommentieren will...

    Also, daß es die Literatur gibt bzw. Menschen, die über ihr Ausdrucksbedürfnis hinaus auch noch sprachmächtig sind, ist eine Tatsache. Daß es die Realität und Menschen, die sich darin zurechtfinden müssen und dafür auch eine Verantwortung tragen, ist eine andere Tatsache. Und daß die Literatur nicht voraussetzungslos ist, ist eine weitere. Was der selbsternannte Literaturwissenschaftler hier vom Stapel läßt, bzw. was er versucht Rilke bzw. seinem 'Cornet' anzuhängen, hat auch noch nicht einmal den Ansatz von Reflexion, nicht den Ansatz. Das ist so eine aufgeregte Attitüde des Möchtegern-Aufgeklärten. Grauslich. Grauslich.

    Im übrigen die Nazis hörten Mozart, lasen Hölderlin usw. Sicher sind jetzt auch Mozart, Hölderlin usw. 'brandgefährlich'.

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  7. Anonym17.11.05

    Machen wir bei mir unter http://stachanow.twoday.net weiter, okay, Philipp?

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