10.1.05

Stufenmodelle

Stufenmodelle haben neben dem unschätzbaren Vorteil, dass sie Entwicklungslinien sichtbar machen können, den entscheidenden Nachteil des Schematischen. Dennoch spannend, was Markus Breuer heute zum Kohlberg-Modell schreibt, das verschiedene Entwicklungsstufen im Bereich Moral/ Ethik skizziert.

Abgesehen von der Unschäfe in Markus Beschreibung der Stufe drei (Konventionell) - die Goldene Regel ist eher ein Prinzip, also auf der "höchsten" Stufe angesiedelt und nicht etwa für die Beschreibung von Konvention und Clan-Verhalten geeignet - sehr erhellend und auch in der Fragestellung spannend:

In der Tat kommen ja alle, die sich intensiver mit Ethik und ihrer Verargumentierung beschäftigen an diesen Punkt, dass ein Austausch mit anderen nicht mehr funktioniert, weil entweder die a priori Entscheidungen nicht gesprächsfähig sind, oder das grundsätzliche Herangehen an Ethik oder Moral (hier mal nicht differenziert, was an sich nötig wäre) derart unterschiedlich, dass keine Verständigung gelingen kann. Hier hilft das Kohlbergsche Modell, Licht in die Gründe für das Scheitern zu bringen.

Meine persönlichen Anfragen an das Modell kommen aus zwei Punkten:
(1) Ich bin mir nicht so sicher, ob die Regelorientierung wirklich eine höhere Entwicklungsstufe darstellt als die Konvention. Das Modell mag schlüssig und in gewisser Weise auf Plausibilität überprüft sein - im täglichen Leben ist ein Zusammensein mit regelorientierten Menschen (die nach anderen Schätzungen rund 20% aller Erwachsenen ausmachen sollen - Quelle hab ich vergessen und reiche sie nach, wenn ich sie finde) weit nervtötender und schwieriger als mit konventionell veranlagten, die eine Clan-Moral haben.
(2) Markus Breuer spricht es auch an: Selbst- und Fremdeinschätzung gehen oft extrem auseinander. Er stellt es anhand von religiösen Überzeugungen dar - von der anderen Skala her kommend geht es mir mit vor allem ethisch angelsächsisch geprägten Agnostikern ähnlich.

Spannend dann aber vor allem eine Frage in seinem Fazit:
Ein Fazit solcher Beobachtungen ist schwer zu ziehen. Was mich interessieren würde: ist es überhaupt denkbar, dass sich eine ganze Gesellschaft im Sinne der Kolhlberg'schen Stufen "weiter" entwickelt?

Nun komme ich von der Sozialethik her und habe selbst viel über Strukturen und ihre Auswirkung auf Ethik gearbeitet. Zunehmend bin ich aber dem sozialethischen Ansatz gegenüber skeptisch geworden. Aktuell ist meine Antwort auf die Frage oben eher: Nein, es ist nicht denkbar. Heraklitsche Ansätze ("die Summe ist mehr als die Teile") überzeugen mich nicht. Mit Blick auf Ethik tendiere ich eher zu der vielleicht etwas steilen Aussage: Eine größere Gruppe ist nur so ethisch wie ihr schwächstes Glied.

Ethik (nicht Moral) ist dem Einzelnen aufgegeben. Und, hier stimme ich Markus wieder sehr, sehr zu, eine große auch pädagogische Herausforderung...

via Agenturblog

2 Kommentare:

  1. Nun - die Goldene Regel ist ja aber gerade nicht das, was du da ausführst - sondern lautet: "Was du nicht willst, das man's dir tu, das füg auch keinem anderen zu".
    Das heißt, es geht eben nicht darum, etwas zu lassen, weil sonst andere sich animiert fühlen würden, es ebenfalls zu tun - sondern etwas anderen gegenüber zu lassen, das ich nicht ok fände, wenn es mir passierte. Wenn alle so handelten, wäre die Welt fair und gerecht :-)
    Du hast Recht: Das ist nicht exakt dasselbe wie der kategorische Imperativ. Aber es ist ein überpersonales Grundprinzip nahezu jeder nicht-utilitaristischen Ethik (nicht etwa Moral!).

    Regelorientierung/ Gesetzestreue:
    Ja, so leuchtet es beinahe ein.
    Zum Hintergrund meiner Skepsis: Ich führe das Stufenmodell gedanklich etwas eng mit Charaktereigenschaften (vielleicht zu eng?). Und den autoritären Charaktertyp, der sich ethisch oft durch Gesetzestreue auszeichnet, kann man auch als regelorientiert bezeichnen. In der Praxis ist die Entscheidung, Gesetze zu achten, ja oft nicht so reflektiert, wie du beschreibst, sondern eher von Stufe eins (Macht) her motiviert, oder?

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  2. Wenn du das unfair fandest, dann tut es mit leid, dass ich es so lax formuliert habe. Mir ging es im Gegenteil um die Zustimmung zu dem Punkt, den du an der Stelle diskutiert hast - denn ich kann das Problem sehr gut nachvollziehen: So wie es dem einen oder anderen schwerfällt, dahinter, dass sich einer bewusst in eine religiöse Tradition stellt, noch eine "hochstehende" (im Sinne des Modells) Ethik oder Moral zu sehen, fällt es mir oft schwer, das hinter utilitaristischen Ansätzen noch zu sehen (obwohl eine kritische Selbstreflektion beider Schwierigkeiten entlarven kann).

    Danke auch noch mal für die weiterführenden Hinweise - bei mir ist es einfach zu lange her (und war auch nur am Rande der auch wieder nur randständigen Beschäftigung mit Piaget Thema) und nur aus der verblassenden Erinnerung heraus diskutiert :-)

    Über die Goldene Regel würde ich schon gerne noch weiter reden, weil ich vor allem deshalb noch mal ausgeholt (und damit offenbar fälschlicherweise Nichtwissen unterstellt) hatte, weil ich eine solche Interpretation wie jetzt von dir noch nie gehört habe. Vielleicht bin ich auch deshalb so spitzfindig, weil sie immerhin explizit die Zusammenfassung der Ethik des katholischen Stranges des Neuen Testaments (Lukas, Matthäus) ist...

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